Foto: Daniela von Treuenfels

 

Der österreichische Gründer der „Identitären Bewegung“ besuchte Lichterfelde, begleitet von Protesten. Unter den Gästen: AfD-Politiker aus Berlin und Brandenburg.

Martin Sellner hatte sich einen strategisch günstigen Tag ausgesucht. Ein langes Brückentags-Wochenende, viele zog es ins Grüne oder gleich in den Kurzurlaub. Engagierte für eine lebenswerte Stadt trafen sich zur Sternfahrt mit dem Rad. Die Berliner Antifa war anderweitig gebunden: ein rechtsextremer Aufmarsch verlangte Aufmerksamkeit in Form einer Gegendemonstration. Es blieb also ruhig am Jungfernstieg: Rund 100 Demonstranten hatten sich versammelt, um Sellner zu verstehen zu geben, dass sie ihn hier nicht willkommen heißen und seine Ziele ablehnen.

Der Rechtsextremist war auf Einladung des ehemaligen AfD-Politikers Andreas Wild angereist, um über ein internationales Treffen Gleichgesinnter in einem Vorort von Mailand zu sprechen. Die Zusammenkunft am 17. Mai musste kurzfristig aus dem Mailänder Zentrum nach Gallarate verlegt werden, da das Hotel den Organisatoren fünf Tage vor dem Termin die Buchung storniert hatte. In der Stadt kam es zu Protesten mit teils gewalttätigen Auseinandersetzungen.

Ganz anders im Berliner Südwesten: „Schön ruhig hier“, stellt der Fotograf der Initiative „Rechts im Bild“ fest, die Stimmung ist entspannt und friedlich. Mit einer weiteren Mitstreiterin fotografiert er Events der Ultra-Rechten, um so Netzwerke sichtbar zu machen. In ihrer Freizeit reisen sie quer durch das Land, um Treffen von Rechtsextremen und Neonazis in Bildern festzuhalten. Auch die Veranstaltung in Lichterfelde ist auf ihrem Flickr-Account dokumentiert.

Wie nützlich die Arbeit der jungen Engagierten für recherchierende Journalisten ist, zeigt sich auch hier im Berliner Südwesten. Die Stadtrand-Nachrichten entdecken auf einem der Bilder eine Frau, die als „Beobachterin“ und in Zusammenarbeit mit dem AfD-Politiker Matthias Pawlik auf einer Familiendemo gegen Rechts anwesend war. Wie berichtet, war sie durch die Menge spaziert, um mit ihrem Smartphone Eltern und Kinder zu filmen.

Die Fotografen von „Rechts im Bild“ ergänzen weitere Gäste der Veranstaltung: „Marlies Becker, Bezirksverordnete und Schatzmeisterin der AfD-Fraktion Neukölln (https://flic.kr/p/2r8ojG5);  Matthias Keßel, Beisitzer im AfD-Kreisverband Dahme-Spreewald (https://flic.kr/p/2r8iPfD); Bernd Pachal, ehem. stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion Marzahn-Hellersdorf, Anfang März infolge eines disziplinarrechtlichen Verfahrens wegen „Verletzung der Pflicht zur Verfassungstreue, Leugnung des Holocausts, Kundgabe antisemitischer Äußerung und Verherrlichung führender Personen des NS-Regimes“ aus dem Dienst als Bundespolizist entlassen; anschließend verließ er ebenfalls die AfD (https://flic.kr/p/2r8pwHE); Hendrik Pauli, AfD Neukölln (https://flic.kr/p/2r8A7r4)“

 

Demonstration am 1. Juni am Jungfernstieg gegen den Besuch von Martin Sellner in Lichterfelde. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Insgesamt versammelten sich in der „Staatsreparatur“ 40 Personen, um über „Remigration“ zu sprechen. Gemeint ist damit die Ausweisung aller Menschen aus Deutschland, die keine Deutschen sind. Wer genau das sein soll, darüber gehen die Ansichten innerhalb der rechten Szene auseinander. Die einen adressieren Menschen mit Migrationshintergrund, andere vertreten einen völkischen Ansatz, dulden also nur Personen mit einem mehrere Generationen zurückreichenden „deutschen“ Stammbaum.

Die Protestierenden blicken an diesem 1. Juni sorgenvoll von ihrem Versammlungsort auf die andere Seite der Straßenkreuzung. Drüben weht nicht nur wie üblich die Deutschlandfahne, sondern auch aus aktuellem Anlass die Flagge des „Stolzmonats“, einer Hasskampagne der extremen Rechten zur Verächtlichmachung queerer Personen. Im vergangenen Jahr wurde die Kampagne vor allem durch Maximilian Krah befeuert, der am 10. Juli in der „Staatsreparatur“ erwartet wird (der Termin wurde von der Webseite der „Staatsreparatur“ entfernt).

Die internationale Vernetzung der äußersten Rechten wird in Lichterfelde aufmerksam registriert, auch die wachsenden Strukturen vor Ort sind ein Thema. Große Sorge bereiteten Teilnehmern der Versammlungen am Sonntag und eine Woche zuvor (Maximilian Krah war angekündigt, der Termin verlegt worden) die zunehmende Gewaltbereitschaft junger Neonazis, von der auch eine lokale SPD-Politikerin betroffen war. Ein Grüner Bezirksverordneter erhielt Beschimpfungen und Drohungen, nachdem vor einigen Wochen seine Telefonnummer und Mailadresse durch mutmaßlich rechte Accounts im Internet verbreitet wurden.

Um Demokratie, Vielfalt und Toleranz geht es dagegen den Organisatoren der Proteste, einem Bündnis der Initiative Lichterfelde weltoffen, den Omas gegen Rechts sowie einigen Parteien.

Wir veröffentlichen den Redebeitrag von Ulrike Meyer von Lichterfelde weltoffen im Wortlaut:

 

Ulrike Meyer von der Initiative Lichterfelde weltoffen. | Foto: Rita Zobel

 

Martin Sellner spricht am Weltkindertag über „Remigration“!

Vor einigen Tagen erst, am 22. Mai, haben wir uns hier zusammen gefunden, um gegen die sogenannte „rechtsextremistische Bildungsarbeit“ der Staatsreparatur zu protestieren. Die Staatreparatur, ein Ort, an dem regelmäßig menschenverachtendes, völkisches Gedankengut „gefeiert“ wird.

Heute, am 1. Juni, müssen wir schon wieder unsere weltoffenen, demokratischen Kräfte mobilisieren, denn heute spricht der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner, der im November 2023 mit seinem „Masterplan zur Remigration“ zu äußerst traurigem und fragwürdigem Ruhm gekommen ist.

Mehr als 21 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte leben in Deutschland. Bei den Remigrationsplänen von Sellner & Co wird jedoch geleugnet, dass von diesen 21 Millionen Menschen mehr als 25%  in systemrelevanten Berufen arbeiten. Sie halten also viele Betriebe und Branchen am Laufen: als Reinigungskräfte, in der Gastronomie, im Tourismus, bei Paketdiensten oder in der Pflege .

Besonders in der Pflege, der ärztlichen Versorgung, bei Rettungsdiensten, in Praxen und auch in Kindergärten leisten Fachkräfte mit Migrationshintergrund einen essentiellen und wertvollen Beitrag. Was wäre also unsere Gesundheitsversorgung ohne diese Menschen? Unsere Gesellschaft ohne diese Menschen? Ohne deren Kinder?

Denn von den mehr als 21 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte sind etwa 5,1 Millionen Kinder.

Am heutigen Internationalen Kindertag müssen wir uns klar machen, gut ausgebildete Kinder, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, sind der Garant für die Zukunft unseres demokratischen Lebens. Sie sind mit ihren einzigartigen Talenten, Fähigkeiten und ihrem neugierigen Blick auf die Welt das entscheidende Potential für unsere zukünftige Gesellschaft.

Deshalb geht die parteiunabhängige Initiative Lichterfelde Weltoffen seit kurzem in die Schulen, sucht mit Schüler:innen und Lehrer:innen das Gespräch über unsere Demokraktie, über die Werte unserer Gesellschaft und über Menschenrechte.

Tun wir also alles dafür, dass die Kinder unserer multikulturellen Gesellschaft geliebt, respektiert, gestärkt und gefördert werden. So werden sie immun gegen rechtsextremistisches Gedankengut, damit Deutschland eine weltoffene, zukunftsgerichte Demokratie bleibt.

Dafür steht Lichterfelde Weltoffen! Unterstützen Sie uns!

Daniela von Treuenfels

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