Eine Woche, nachdem Neonazis an einer Bushaltestelle am Kranoldplatz Wahlkämpfer der SPD verprügelt hatten, kamen am selben Ort rund 200 Menschen zusammen.
Sie waren einem Aufruf von Parteien und Initiativen gefolgt, um ein Zeichen zu setzen gegen Rechtsextremismus und politisch motivierte Gewalt. Die Versammlung in Lichterfelde fand einen Tag nach dem Anschlag in Magdeburg statt, bei der nach bisherigen Erkenntnissen ein der AfD nahestehender islamophober Einzeltäter bei einer Amokfahrt durch den Weihnachtsmarkt fünf Menschen tötete und zahlreiche weitere verletzte.
Die Stimmung auf dem Vorplatz des Bahnhofs Lichterfelde Ost war entsprechend gedrückt. Der Gedanke, dass rechtsextreme Ideologie immer Menschen mehr radikalisiert und sogar dazu veranlasst, grausame Verbrechen zu begehen, schien bleiern über den Demonstranten zu schweben.
Immerhin: Die Tatsache, dass es zwei der Ihren getroffen hatte, ließ die Parteien des demokratischen Spektrums zusammenrücken. Sich gegen Gewalt und Hassrede von Rechts zu stellen, hatten sich bisher traditionell die linken Parteien und Organisationen von Linken über die SPD bis zu den Grünen zur Aufgabe gemacht. Dieses Mal hatten auch FDP und CDU zur Demonstration aufgerufen. Vor allem für die CDU ist das ungewöhnlich – und war für die Veranstalter offenbar so überraschend, dass zunächst versehentlich ein Aufruf ohne das Logo der Christdemokraten veröffentlicht wurde.
Unter den Rednern war so auch Bezirksverordnetenvorsteher René Rögner-Francke. Die Botschaft des CDU-Politikers, wie auch die der anderen Rednerinnen und Redner: Wir stehen zusammen, sind solidarisch, lassen uns nicht einschüchtern – machen uns gegenseitig Mut. Gewalt dürfe niemals Mittel der politischen Auseinandersetzung sein. Die Demokratie müsse verteidigt werden. Unter den Zuhörern unter anderen: eine Senatorin, mehrere Abgeordnete, einige Lokalpolitiker, die Bezirksbürgermeisterin und zwei Stadträte.
Nur Stunden später ziehen in Magdeburg Rechtsextreme unter der Überschrift „Demo gegen den Terror“ durch die Stadt. Die Zeit beschreibt den Aufmarsch der Neonazis so:
„Es ist eine Machtdemonstration, bei der sie die angeschlagene Stadt selbst terrorisieren. Hier sind alle Größen der Szene versammelt. Fahnen der „Heimat“ wehen, ehemals die NPD. Ebenso der JN, ihrer Jugendorganisation. Die Freien Sachsen sind dabei, verschiedene Neonazi-Verbände, vor allem aber zahlreiche Vermummte aus dem Hooligan-Spektrum.
Sie schwenken Russlandfahnen, dann spricht Thorsten Heise, einer der führenden Köpfe der militanten Neonazi-Szene. Hier und da werden Journalisten und Reporter geschubst, später fliegen Flaschen. Die Menge, rund 400 dürften es gewesen sein, skandiert das Worst-of der rassistischen Slogans, darunter die verbotene Parole „Deutschland erwache“.“
Die Polizei sei „zunächst heillos unterbesetzt“ gewesen, habe den „Aufmarsch offenbar unterschätzt“.
Zuvor hatte jemand die Demonstration – an diesem Tag und zu dieser Stunde – genehmigt. Zeitgleich findet in der Kirche zum Gedenken an die Opfer des Attentats ein Gottesdienst statt.
In Lichterfelde ist am Samstag Mittag die Kundgebung gegen 14 Uhr nach einer kurzen Stunde beendet. Schneller als gewöhnlich löst sich die Versammlung auf, fast erinnert die Szenerie an einen Flashmob. Die Menschen verteilen sich flink in alle Richtungen, nachdem zuvor Westen, Flyer und Transparente sorgsam verwahrt wurden.
Es mag an der Kälte liegen oder daran, dass die Leute vor Weihnachten noch jede Menge zu tun haben. Vielleicht ist der Glaube an die eigene Resilienz aber doch erschüttert worden. Man muss sich schützen. Und sei es nur dadurch, nicht als Antifaschist auf offener Straße erkennbar zu sein.
Daniela von Treuenfels
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