Foto: Christiane Kurz-Becker

 

In der Petruskirche am Oberhofer Platz ist derzeit die Ausstellung „Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit“ mit Werken der Künstlerin Evelin Daus zu sehen.

Zur Vernissage sprach Ulrike Meyer.
Wir veröffentlichen die Laudatio im Wortlaut:

Tauchen wir ein in eine bizarre und eigenwillige Bilderwelt, die uns mit kräftigen Farben in den Bann zieht. Eine Bilderwelt, die wir uns erobern müssen, denn sie gibt nicht so ohne Weiteres ihre Geheimnisse und Deutungsebenen preis.

Das Tableau der Symbolik, bestehend aus Menschen, Tieren und Pflanzen, erzählt Geschichten, die nicht einer linearen oder stringenten Erzählweise folgen. Die Schöpferin dieser ideenreichen Phantasiewelt ist die international bekannte und preisgekrönte Malerin Evelin Daus.

Evelin Daus ist eine sehr produktive Künstlerin und wir haben das Vergnügen, in dieser Ausstellung verhältnismäßig junge Arbeiten von ihr zu sehen, nämlich einige aus den letzten fünf Jahren. Beginnen wir mit dem Bild aus dem Jahre 2020, es zeigt den Berliner „Steinplatz“, der gegenüber der Universität der Künste liegt. Dieses Gemälde zählt mit seinen fünf Jahren zu den „ältesten“ Bildern dieser Show und ist eines der drei gezeigten Triptycha.

Der Berliner Steinplatz hat eine lange, wechselhafte Geschichte, wurde 1885 angelegt und nach dem Staatsmann und Reformer Freiherr Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein benannt. Nicht nur sein Konterfei ist dort als Brüste aufgestellt, der Platz trägt auch Gedenksteine für die Opfer des Nationalsozialismus und des Stalinismus.

In dem dreiteiligen Gemälde von Evelin Daus scheinen auf den ersten Blick der Politiker, die Bevölkerung jener Zeiten, ihre politischen Opfer und die Jugend von heute zu feiern. In der Mitte dominiert eine tanzende Närrin, weiß gekleidet wie der intelligente „Clown Blanc“, jedoch geschmückt mit einer Narrenkappe mit Schellen. Diese zentrale Figur wirkt wie ein Fingerzeig und verwebt den Namensgeber des Platzes, die ausgemergelte Arbeiterin und die Bürgersfrau ebenso miteinander wie die Jugendlichen von heute.

Zeitübergreifend vereinigt das Tripthychon einen Teil der Berliner Geschichte mit ihren Menschen. Wie kleine Störfeuer tauchen aber die von Evelin Daus so geliebte Tiere in dem Bild auf: Zentral neben der Närrin der Affe, der sich mit direktem, fragendem Blick am Kopf kratzt, als wolle fragen „Was soll denn der Wahnsinn?“

Oder das afrikanische Schwein, mit seinen starken Hauern. Und ganz links zwei groteske Vogelwesen, die an den Maler Hieronymus Bosch erinnern.

Tiere tauchen in fast jedem Gemälde von Evelin Daus auf – Affen, Schweine, Schmetterlinge, Adler, Skorpione, Schafe, Echsen und die Friedenstaube. Mit ihnen will die Künstlerin zeigen, wie tief und untrennbar die Verbundenheit von Mensch und Tier sowie Geist und Natur ist.

“Vorwärts” | Foto: Christiane Kurz-Becker

So beispielsweise auch in dem Triptychon „Vorwärts“ aus dem Jahr 2023. Hier rennt eine weißhäutige, blonde, junge Frau neben einer überdimensionalen Friedenstaube. Diese Frau, gekleidet in der typisch weiblichen Farbe Rosa, ist mit der Friedenstaube das Zentrum des Bildes.

Umgeben ist sie, nicht nur von den bereits erwähnten Tieren, sondern auch von Menschen verschiedener Kulturkreise. Alle streben mit hohem Tempo nach vorne, strecken gierig ihre Hände aus, scheinen sich gegenseitig überholen zu wollen; eine Person kriecht sogar auf allen Vieren. Alle kennen nur ein Ziel, „Vorwärts“, hinein in die Zukunft und weg von der Vergangenheit, weg von der Geschichte, die durch den Minotaurus im rechten Hintergrund repräsentiert wird.

Er ist eine Gestalt der griechischen Mythologie: ein Wesen mit menschlichem Körper und Stierkopf, es symbolisiert das animalische und unkontrollierte Wesen des Menschen, und er tritt hier auch zugleich als Warner auf. Nur die junge Frau auf der Friedenstaube hält leicht abwehrend ihre Hände hoch, als wolle sie sich diesem zerstörerischen Sog entziehen.

Für Zerstörung und Tod stehen auch die Totenskelette, entlehnt der mexikanischen Kultur. Sie sind wichtige Symbole für die Vergänglichkeit des Lebens und für die Dualität von Leben und Tod. In Mexiko wird der Tod farbenfroh und ausgelassen gefeiert, mit dem „Día de Muertos,“, dem „Tag der Toten„ – ein Feiertag so ganz anders als der Toten- bzw. Ewigkeitssonntag bei uns in Deutschland.

Zugleich sind diese Zitate der mexikanischen Kultur aber auch Verweise und Erinnerungen der Künstlerin Evelin Daus an ihre Zeit in Mexiko. Von 1970 bis 1973 studierte sie Kunst in Mexiko-Stadt an der renommierten „Nationalen Autonomen Universität von Mexiko“, UNAM. Zurück in Berlin absolvierte sie ein Architekturstudium, führte 30 Jahre lang ihr eigenes Architekturbüro und kehrte danach zur Kunst zurück, indem sie sich fünf Jahre lang, von 2018 bis 2022, an der Akademie für Malerei dem Studium der Ölmalerei widmete und sie dann 2023 zur Meisterschülerin von Ute Wöllmann ernannt wurde, der Gründerin und Leiterin der Akademie für Malerei Berlin.

Die Ölfarbe ist das bevorzugte Malmittel mit dem Evelin Daus ihre Geschichten auf die Leinwand bannt, in mehreren Farbschichten, mit kräftigen Pinselstrichen ebenso wie mit feinen Detailzeichnungen, und vor allem mit intensiven Farben.

Da Ölfarbe eine lange Trockenzeit benötigt und jede Farbschicht erst abtrocknen muss, bevor an dem Bild weitergearbeitet werden kann, malt Evelin Daus immer an mehreren Bildern parallel. Sie realisiert ihre Ideen oft mit einer Vorarbeit am Computer, erstellt von ihrem Motiv ein Raster, das sie anschließend auf die Leinwand überträgt und macht dann die ersten Vorzeichnungen mit Acryl. 

Es ist mit dieser Laudatio unmöglich auf alle ihre Bilder intensiv einzugehen. Ich möchte jedoch noch einmal zwei großformatige Arbeiten hervorheben.

“Erdachte Träume”, von links nach Rechts: Christiane Kurz-Becker, Evelin Daus und Ulrike Meyer | Foto: Bruno Jod

Das Gemälde „Erdachte Träume“, 2022, in der hinteren Koje auf der linken Seite, ist an Absurdität nicht zu übertreffen. Wir sehen einen freundlich lächelnden Löwenmann, der die rechte Bildhälfte dominiert. Der Schalk blitzt übermütig in seinen Augen, aber er zeigt auch eine leichte Befangenheit, denn er tippt sich mit dem Zeigefinger fragend an seine Unterlippe, eine typische Geste leichter Unsicherheit.

Folgen wir seinem Blick, fällt uns auf, was die Unsicherheit bei ihm auslöst. Neben ihm schwebt bedrohlich ein großes, merkwürdiges Insekt. Mit seinem überdimensionalen Stachel sticht es todbringend in eine schwarz gekleidete Männerfigur. Dieser fährt in den Himmel auf, hinein in die weiße Milchstraße, bekrönt von der Friedenstaube oben links, die kaum zu erkennen ist. Der Affe, rechts oben im Bild, einer unserer engsten Verwandten, brüllt bei dieser Szenerie erschreckt auf, wir hören quasi seinen gequälten Schrei.

Evelin Daus demontiert in diesem Bild nicht nur die Bedeutung des Löwen. Eigentlich ist der Löwe ja ein Sinnbild freier, naturgegebener Stärke, Gewandtheit, Tapferkeit und imposantem Auftreten. Daus hat einen Mann mit einer Löwenmaske geschaffen, der aber in ihrem „Erdachten Träumen“ verunsichert ist, der als Mann auf den Todesstoß durch das Insekt wartet. Ich frage provokativ, steht das Insekt für die Rache einer Frau? Oder verkörpert das Insekt eine tödliche Plage, die über die Menschheit hereinbricht.

Auch das Gemälde „Plage“ von 2022 mit dem riesigen Insekt in der Mitte, kann in diesem Kontext verstanden werden. Daus verarbeitet so auch das Thema Pandemie wie Ebola oder Corona.

“Hinterhof Geschichten” | Foto: Christiane Kurz-Becker

Auf dem Bild „Hinterhof Geschichten“ von 2024 sitzt entspannt ein älterer Mann, er schaut uns direkt mit seinem offenen, lässigen Blick an. Obwohl er neben einem Kloakenabfluss sitzt, ist er auffällig mit einem weinroten, mittelalterlichen Barett und einer üppigen roten Schleife geschmückt und macht einen selbstsicheren und ungezwungenen Eindruck. Er erinnert mich an die vielen Menschen, die weltweit obdachlos sind und auf den Straßen leben.

Genießt der Mann die Gesellschaft seines hockenden Kumpels, einem Mischwesen mit einem Ziegenkopf? Oder verkörpert dieser Nachbar das Böse und ist eine Bedrohung? Der Ziegenkopf wird häufig in vielen Kulturen mit dämonischen oder teuflischen Wesen in Verbindung gebracht.
Der Hinterhof könnte also auch der Vorhof zur Hölle sein: Der fliegende Affe mit dem Totenkopf, der einen Zylinder trägt, steht für die die Vergänglichkeit, das Küken und die kleinen Mädchen verstärken die Absurdität der Szenerie, in der die Figuren, um es mit den Worten der Künstlerin zu sagen „als Ausduck der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit unserer Zeit gedeutet werden können“.

Die Masken der Malerin Evelin Daus. | Foto: Christiane Kurz-Becker

Zum Schluss möchte ich noch auf das Thema der Masken in Evelin Daus Bildern eingehen, der sie eine ganze Serie gewidmet hat unter dem Titel „Meio escondido“, zu deutsch „verborgene Wahrheiten enthüllen“. Wenn etwas enthüllt werden kann, so muss es vorher verborgen gewesen sein.

Wir alle kennen die Redewendung „die Maske vom Gesicht reißen“, das heißt, sich oder jemanden entlarven oder enttarnen, also seinen wahren Charakter oder seine verdeckten Absichten offenbaren. „Sich die Maske vom Gesicht reißen“ ist ein bildhafter Ausdruck, für den Moment der Handlung.

Evelin Daus, die sich den Surrealisten wie Salvador Dali oder Max Ernst verbunden fühlt, sucht mit dem Thema der Maskierung und Demaskierung nach der Identität und Verwandlung eines Menschen. Für sie ist die Maske nicht nur ein Accessoire zur Verkleidung, also eine Maskerade. Für sie ist die Maske „ein Symbol für gesellschaftliche Rollen und verborgene Wahrheiten“ eines Menschen. Eine Persönlichkeit kann also durchaus immaterielle, unstoffliche Masken tragen oder Masken seiner, um Teile seines Wesens zu verstecken oder sich fremde Merkmale anzueignen.

Im menschlichen Umgang erschweren diese immateriellen Masken das Miteinander, wissen wir doch nie, mit wem wir es wirklich zu tun haben, ob ein Mensch authentisch ist oder seinem Gegenüber etwas vormacht.

Es wäre noch viel zu sagen:

Etwa über das Bild „Kopflos“, das den Boxer hinter seinem staunenden Publikum ohne, also mit weg geboxtem Kopf, zeigt. Über das Bild „Trank der transzendenten Träume“, 2025, welches ihren Enkel darstellt und als Metapher für den ewigen menschlichen Forschungsdrang steht, Grenzen zu überschreiten.

“Mein Wunschgarten” | Foto: Christiane Kurz-Becker

Oder über das Gemälde „Mein Wunschgarten“, 2024, in dem die Künstlerin mit ihren Farben ihren Garten anmalt als Reaktion auf den extrem trockenen Sommer mit Wasserknappheit, in Begleitung eines Seepferdchens und eines Affens.

Ulrike Meyer

 

Ausstellung „Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit“

von Evelin Daus

vom 03. Juni bis 31. Juli 2025.

Die Finissage findet am Mittwoch, 30. Juli 2025 um 19 Uhr statt,

in Anwesenheit der Künstlerin Evelin Daus.

Petruskirche, Oberhofer Platz, 12207 Berlin

https://www.petrus-kultur.de/ausstellungen

Die Türen Petruskirche sind jeden Mittwoch und Samstag von 10 bis 13 Uhr für Besucherinnen und Besucher geöffnet sowie vor oder nach jeder Kulturveranstaltung.

 

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