Täglich kommen neue Flüchtlinge nach Berlin und finden sich in einem fremden Land mit fremder Sprache und anderer Kultur wieder. Um ihnen zu helfen, mit den Behörden, den Anforderungen und den neuen Lebensgewohnheiten klar zu kommen, gibt es die Stadtteilmütter. In Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf sind es derzeit sieben Frauen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, die die Flüchtlinge zu den Ämtern Banken und Schulen begleiten, ihnen erklären, wie etwa das Deutsche Gesundheits- und Schulsystem funktioniert und bei der Anerkennung von Schulabschlüssen und Ausbildungen zu unterstützen.
Eitam Hussien weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, sich in einem fremden Land zu integrieren. Die Kurdin kam vor 26 Jahren aus Syrien nach Deutschland. Ihr Mann studierte damals in Berlin, sie folgte ihm, dann wurde sie krank, bekam Kinder – die Familie blieb in Berlin. Seit 2010 ist Hussien Integrationslotsin, damals noch als Maßnahme vom Jobcenter finanziert, sind sie und ihre Kolleginnen heute Angestellte beim Diakonischen Werk Steglitz und Teltow-Zehlendorf.
Seit 2008 ist auch Sajedeh Saoud Stadtteilmutter. Wie alle anderen durchlief die aus Jordanien stammende Frau eine sechsmonatige Ausbildung beim Diakonischen Werk, in denen es sowohl um das Asylrecht ging als auch um die Entwicklung von Kindern und wie Kindererziehung in Deutschland funktioniert. „Dabei lernt man selbst viel und kann es anschließend weitergeben“, sagt Saoud.
Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf Familien und Frauen, alle sieben Statteilmütter sind auch wirklich selbst Mütter. „Manches versteht man dann eher“, sagt Claudia Hesse Kresinszky, die Projektkoordinatorin.
Die größte Schwierigkeit für die Neuankömmlinge ist die Sprache, da sind sich die Frauen einig. Dazu kommen die fremde Kultur, andere Gesetzte und fehlende Kontakte. Das führe bei vielen Asylsuchenden zu einer Isolation, die die Statteilmütter versuchen zu verhindern. Auch als Vermittler zwischen den Kulturen fungieren sie. So berichtet Eitam Hussien von einem Schüler, der seiner Lehrerin nicht in die Augen schaute. Die empfand das als unhöflich. In den arabischen Ländern hingegen sei das ein Zeichen von Respekt, klärte Hussien auf. Ja, von Missverständnissen können die Integrationslotsinnen viel erzählen. Etwa von einer afrikanischen Frau, die von mehreren Bekannten zu einer Behörde begleitet wurde und die Männer dort als „Bruder“ bezeichnete. Die Beamtin fühlte sich betrogen, weil die Frau gar keine Brüder hatte. Hier musste Yvon Mboukeh weiterhelfen und erklären, dass der Begriff „Bruder“ im Herkunftsland der Frau eine ehrende Bezeichnung ist, auch für Männer außerhalb der Familie. „Aus solch kleinen Unterschieden entstehen dann die Probleme“, weiß Mboukeh. Auch wie wichtig „Papier“ – also Unterlagen, Formulare, Zeugnisse usw. — in Deutschland sind, sei vielen Asylbewerbern nicht bewusst, berichtet Claudia Hesse Kresinszky. Auch Pünktlichkeit sei ein großes Thema, so Integrationslotsin Harim Kimmling.
Viele der Flüchtlinge kämen mit falschen Vorstellungen, weiß sie zu berichten. Sie denken, sie bekommen hier eine Wohnung und dann ist alles erledigt. Doch schon bei der Suche nach einer Wohnung gehen die Probleme los.
Die Stadtteilmütter gehen regelmäßig in die Flüchtlingsunterkünfte, um mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Sei es zum Anfang noch schwierig gewesen, hat sich der Arbeit der Frauen mittlerweile herumgesprochen. Die Zahl der Anfrage sei hoch, vor allem nach Eröffnung der Unterkünfte stieg die Zahl enorm. Zudem wenden sich auch Kitas und Schule vermehrt an die Stadtteilmütter. Jede der Frauen betreut um die 50 Familien. „Aber ich kann keinen wegschicken, wenn jemand Hilfe braucht“, sagt Mboukeh. Wer bei ihr anruft, hat ihr Ohr. Dann versucht sie herauszufinden, welche Sprache die Hilfesuchenden sprechen und versucht die richtige Stadtteilmutter zu finde. Die Sprachvielfalt unter ihnen ist groß, neben Türkisch, Arabisch und Kurdisch sind auch solch ausgefallenen Sprachen wie Oromiffa und Amharisch, gesprochen in Äthopien, dabei. Demnächst sollen aufgrund der steigenden Flüchtlingszahlen vier weitere Stadtteilmütter dazukommen.
Unterstützung gibt es auch von den zahlreichen Ehrenamtlichen, dem Willkommensbündnis und den Kirchenkreisen, berichtet Hesse Kresinszky. Dafür sind die Frauen dankbar. So gibt es unter anderem eine Pfarrerin, die den Asylsuchenden Weihnachten und Ostern erklärt und den Flüchtlingen so die Gepflogenheiten in Deutschland näher bringt.
„Das Wichtigste ist, ihnen zuzuhören“, sagt Harim Krimmling. So erfahren die Integrationslotsinnen von tragischen Fluchten, Geschichten von Tod und Verlust, von den Ängsten abgeschoben zu werden, von der Scham erwachsener Männer, wieder zur Schule gehen zu müssen. Bei all den vielen, oft tragischen Geschichten, die die Frauen hören, müssen sie aufpassen, dass sie die nicht mit nach Hause nimmt. „Ich versuche, mich zu schützen, aber das geht nicht zu 100 Prozent“, sagt Mboukeh.
(go)