Der Kranoldplatz in seiner Pracht. | Foto: Stephan Voß

 

Endlich geschafft! Nachdem im zweiten Anlauf genügend Unterschriften für den Einwohnerantrag „Kranoldmarkt erhalten“, für den die CDU Lilienthal geworben hat, zusammengekommen waren, stand er in der vergangenen BVV auf der Tagesordnung. Seine Präsentation geriet zum Auftakt einer unsachlichen Debatte voller Diffamierungen und Unterstellungen. Ein Kommentar zur Bezirksverordnetenversammlung am 17. April.

Kamele, Esoteriker, Sekttrinker, Austernesser und Freunde des Kunstgewerbes, Zerstörer der Bahn in Lichterfelde Ost

In ihrem Statement zu dem von der CDU unterstützten Einwohnerantrag „Kranoldmarkt erhalten“ begnügte sich die Antragstellerin Barbara Saß-Viehweger, die zugleich stellvertretende Vorsitzende der CDU Lilienthal (Berlin Lichterfelde-Ost und -Süd) ist, keineswegs damit, ihren Antrag auf eine sachliche Art und Weise inhaltlich zu begründen. Vielmehr diffamierte sie die Initiatorinnen und Initiatoren des Einwohnerantrags „Lebendiger Kranold-Markt-Platz“ und damit auch die knapp 2.000 Bürgerinnen und Bürger, die diesen Antrag mit ihrer Unterschrift unterstützt haben, als Esoteriker und indirekt auch als Kamele. Sinngemäß sagte sie, wenn gerade über eine Sache Gras gewachsen sei, käme ein Kamel und fräße es wieder ab. Die Rednerin meinte damit wohl, dass es besser gewesen wäre, wenn das Bündnis für einen lebendigen Kranoldplatz die Zukunft des Kranoldplatzes nicht erneut zur Diskussion gestellt hätte, nachdem die BVV vor einigen Jahren beschlossen hatte, dass es hier zu keinerlei Veränderung kommen solle. Weiter führte sie aus, dass sie, um einer Rüge zu entgehen, niemanden als Kamel bezeichnen wolle und hatte es auf diese Weise, wenn auch indirekt, doch getan.

Darüber hinaus sprach Frau Saß-Viehweger davon, dass es mit Blick auf den Kranoldmarkt nicht um ein paar Kunstgewerbestände gehe oder um die „berühmte Bar mit Sekt und Austern“, die vielleicht jemand vermisse sowie davon, dass sich Victor Ferdinand von Kranold (ehemals Präsident der Berliner Eisenbahndirektion) im Grabe umdrehen würde, wenn man ihm seine Eisenbahnstrecke wieder wegnähme, damit man in Ruhe einen grünen Aufenthaltsort schaffen könnte. Die 2.000 Menschen also, die den Kranoldplatz umgestalten wollen, werden nicht nur als Esoteriker bezeichnet, nicht nur in die Nähe von Kamelen gerückt, sondern auch in die Nähe derer, die Sekt und Austern auf dem Kranoldplatz vermissen und, man kann es kaum glauben, die Eisenbahnstrecke in Lichterfelde Ost zugunsten eines grünen Aufenthaltsortes beseitigen wollen.

Zwei Einwohneranträge zum Kranoldplatz

Zur Erinnerung sowie sehr kurz und zugespitzt formuliert: Der von der CDU unterstützte und von CDU Mitgliedern verfasste Einwohnerantrag „Kranoldmarkt erhalten“ steht dafür, den Kranoldplatz im Wesentlichen so zu belassen, wie er ist. Der Antrag des Bündnisses für einen lebendigen Kranoldplatz fordert dagegen, den Kranoldplatz nachhaltig, ökologisch, klimafreundlich und orientiert an dem Berliner Mobilitätsgesetz umzugestalten und zu einem Platz mit Aufenthaltsqualität weiterentwickeln. Davon abgesehen plädieren beide Anträge für den Erhalt des Kranoldmarktes.

Der Antrag des Bündnisses war schon im März im Bezirksparlament eingegangen und stand bereits in mehreren Ausschüssen auf der Tagesordnung. Die Diskussion des Antrages bzw. um die Zukunft des Kranoldplatzes wurde allerdings immer wieder mit dem Argument verschoben, man wolle beide sich inhaltlich widersprechenden Anträge zusammen diskutieren. Die Debatte um diesen und den Einwohnerantrag des Bündnisses für einen lebendigen Kranoldplatz „Lebendiger Kranold-Markt-Platz“ konnte endlich beginnen.

Revolutionäre, Weltverbesserer und Gentrifizierer

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne – es hätte interessant werden können. Doch auch der Redner der CDU-Fraktion, Bernd Lücke, zielte unter die Gürtellinie. Er rückte in seiner Rede zu dem von der CDU unterstützten Einwohnerantrag die Initiatorinnen und Initiatoren des Einwohnerantrags „Lebendiger Kranold-Markt-Platz“ und damit auch dessen Unterzeichnerinnen und Unterzeichner – allesamt Berliner Bürgerinnen und Bürger – in die Nähe von Revolutionären und Weltverbesserern. Sinngemäß sagte er, dass der Wunsch, dass der Markt so bleiben solle, wie er ist, ein legitimer Wunsch sei, der jedoch nicht der Realität der Revolutionäre und Weltverbesserer entspräche. Herr Lücke ließ es sich auch nicht nehmen, sie en passant mit dem Investor Huth in Verbindung zu bringen und zumindest indirekt als Gentifiziererinnen und Gentrifizierer zu charakterisieren, indem er sein Gefühl (!) äußerte, dass mit dem schöneren Kranoldplatz eine Gentrifizierung des Kiezes erst beginnen würde. Denn dann stiege der Wohnwert um den Platz herum und die Attraktivität vor Ort, was man ja schon rund um die Aktivitäten des Investors Huth am Ferdinandmarkt debattiert habe.

Warum werden die Initiatorinnen und Initiatoren des Einwohnerantrages „Lebendiger Kranold-Markt-Platz“ und die diesen Antrag unterstützenden Berliner und Berlinerinnen in einer öffentlichen Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung in Steglitz-Zehlendorf in die Nähe der Begriffe „Esoteriker“, „Kamele“, „Sekttrinker“, „Austernesser“, „Zerstörer von Eisenbahnanlagen“, „Weltverbesserer“ und „Revolutionäre“, „Gentrifizierer“ und „Inquisitoren“. und der mit diesen Begriffen assoziierten Gedanken gerückt und sogar mit einigen von ihnen unverhohlen charakterisiert? Welche Strategie steckt dahinter?

Strategien der Delegitimation

Mit einer solchen Strategie wird in aller Regel zum einen das Ziel verfolgt, Personen abzuwerten und in den Augen anderer schlecht zu machen, negative Emotionen ihnen gegenüber zu erzeugen und zu schüren, sie als gefährlich und bedrohlich oder auch als dumm und überheblich zu brandmarken – kurzum sie zu diffamieren und ihre Ideen, Gedanken und Aktivitäten zu diskeditieren. Zum anderen dient eine solche Strategie dazu, sich selbst über diese Personen zu stellen und die eigenen Gedanken, Aktivitäten und Ideen als die richtigen und guten sowie die Motive für das eigene Handeln als edel und an der Sache orientiert zu markieren.

Im Kern geht es also darum, diejenigen, die man als Gegner oder Widersacher sieht, als Personen und hinsichtlich ihres Handelns und Denkens – vor allem in den Augen anderer – zu delegitimieren und so das eigene Anliegen zu befördern.

Falsche Behauptungen, Marktzerstörer und Dummköpfe

Frau Saß-Viehweger nutzte als Strategie zur Diskreditierung der Initiatorinnen und Initiatoren des Einwohnerantrages „Lebendiger Kranold-Markt-Platz“ auch das Verbreiten unzutreffender Behauptungen. So hieß es bei ihr sinngemäß, man wolle auf dem Kranoldplatz einen Kinderspielplatz errichten und man wolle den ganzen Platz entsiegeln mit der Folge, dass kein Marktwagen mehr auf den Platz fahren könne und es dann keinen Markt mehr gebe.

Nirgendwo im Antrag des Bündnisses für einen lebendigen Kranoldplatz steht jedoch geschrieben, dass auf dem Platz ein Spielplatz geschaffen werden soll, vielmehr ist dort von einer „auch kindgerechten Aufenthaltsqualität“, die zu schaffen sei, die Rede. Und nirgendwo steht geschrieben, dass der Platz vollständig entsiegelt werden soll, sondern es wird im Antrag gefordert, „die Fläche des Platzes so weitgehend wie möglich zu vergrößern und zu entsiegeln“. Die Initiatorinnen und Initiatoren des Einwohnerantrages „Lebendiger Kranold-Markt-Platz“ und deren Unterstützerinnen und Unterstützer machen auf diese Weise deutlich, dass sie auch die Interessen von Kindern beim Umbau des Platzes im Blick haben und eine nachhaltige und klimafreundliche Entwicklung ihres Kiezes fördern wollen, indem unter anderem der Platz so weit als möglich entsiegelt werden soll. Unterstellt wird ihnen jedoch indirekt, dass sie den Markt zerstören wollen und tatsächlich zu blöd sind, um zu begreifen, dass die Fahrzeuge auf dem Markt geeignete Stell- und Rangierflächenflächen brauchen, wie sich auch an der von Herrn Lücke geäußerten Sorge zeigt, dass die ins Auge gefassten Maßnahmen erwarten ließen, dass die Rangierfähigkeit der großen Marktwagen gefährdet sein könnte.

Populismus und eine Kultur der Spaltung, Ausgrenzung und der Abwertung Andersdenkender – die demokratische Kultur in Steglitz-Zehlendorf ist in Gefahr

Nun mag es sein, dass weder Frau Saß-Viehweger noch Herr Lücke die Initiatorinnen und Initiatoren des Einwohnerantrages „Lebendiger Kranold-Markt-Platz“ und die ihn unterstützenden Bürgerinnen und Bürger Berlins bewusst abwerten und diffamieren und ihren Antrag diskreditieren wollten. Selbst wenn dies so wäre, wäre es wenig beruhigend: Denn dann wüssten sie nicht, was sie tun.

In jedem Falle verraten sie nicht nur wesentliche christliche und auch liberale Werte, nein schlimmer noch, sie gefährden die demokratische Kultur in unserem Bezirk zugunsten von Populismus, einer Kultur der Spaltung, der Ausgrenzung und vor allem der Abwertung Andersdenkender. Damit kippen sie bedauerlicherweise nicht nur Wasser auf die Mühlen derer, die mit unserer Demokratie eh nichts mehr oder nicht mehr viel anfangen können, sondern sie spielen zu allem Überfluss auch noch denen in die Hände, die politisch daraus ihr rechtes Süppchen kochen.

Wer rabiaten Beschimpfungen in parlamentarischen Debatten nicht entgegentritt, schwächt den demokratischen Diskurs. Nur zwei von insgesamt 55 Bezirksverordneten widersprachen. Der Bezirksverordnetenvorsteher René Rögner-Francke (ebenfalls CDU), von dem man dies hätte auf Grund seines Amtes erwarten dürfen, blieb untätig. All dies lässt für die kommenden Debatten um die Zukunft des Kranoldplatzes in der Bezirksverordnetenversammlung und deren Ausschüssen eher nichts Gutes ahnen.

Ein Appell

Mein Appell an die CDU lautet, kehren Sie zu einem demokratischen Diskurs zurück und behandeln Sie diejenigen, mit deren Auffassungen sie nicht konform gehen, so wie sie selbst von diesen und anderen behandelt werden wollen.

 

 

Stephan Voß

Der Autor ist Mitglied des Bündnisses für einen lebendigen Kranoldplatz, mehr Informationen zur Initiative gibt es hier: https://www.kranold-markt-platz.de/