Gebäude des ehemaligen Kraftwerks Steglitz in der Birkbuschstrße 40/42. | Foto: Daniela von Treuenfels (alle in diesem Beitrag)

 

Das unter Denkmalschutz stehende ehemalige Bewag-Umspannwerk in der Birkbuschstraße kommt unter den Hammer. Bisherige Eigentümerin ist eine Gesellschaft, die in einen bundesweiten Immobilienskandal verstrickt ist. Die Akteure gehören zu einem illustren Netzwerk, das bis zur AfD Sachsen reicht.

Der Ampere Projektentwicklungsgesellschaft mbH gehört ein feines Objekt mit einigem Entwicklungspotential: das knapp 1,4 Hektar große Grundstück Birkbuschstraße 40/42 mit den mittlerweile denkmalgeschützten Gebäuden des 1911 eingeweihten Kraftwerks Steglitz. Das Unternehmen mit offiziellem Sitz in Berlin gibt es nur noch auf dem Papier, die Gesellschaft befindet sich „in Liquidation“, also in Auflösung. Das bedeutet, dass ihr Vermögen zu Geld gemacht wird, um vorhandene Schulden zu begleichen. Ein Insolvenzverwalter ist eingesetzt, der dafür sorgen soll, dass die Gläubiger wenigstens einen Teil ihres Geldes wiedersehen.

Die Ampere gehört zu einer Unternehmensgruppe von mehr als 100 Gesellschaften unter dem Dach der German Property Group (GPG) mit Sitz in Bremen. Ihre Geschichte ist der „womöglich größte Anlageskandal der vergangenen Jahre in Deutschland“, wie es die Neue Presse aus Hannover zusammenfasst. Ihrem Bericht zufolge soll die Gruppe „Kleinanlegern aus dem Ausland Investitionen in denkmalgeschützte Immobilien in Deutschland schmackhaft gemacht haben – unter dem Versprechen satter Renditen“. Die Zeitung zitiert aus dem Gutachten des (mittlerweile ausgetauschten) Insovenzverwalters, der von einer betrügerischen Absicht ausgeht mit einer „mutmaßlich bewusst verschleierten Mittelverwendung“. Drittunternehmen hätten „signifikante Auszahlungen“ erhalten, ohne entsprechende Leistungen erbracht zu haben.

Der Schaden liegt nach übereinstimmenden Recherchen mehrerer Medien bei mindestens einer Milliarde Euro. Die GPG, zuvor „Dolphin Capital“, wurde gegründet von Charles Smethurst, einem deutsch-britischen Immobilienunternehmer mit Wohnsitz in Pohle bei Hannover. Anfang 2021 gab es eine Razzia in seinen Privat- und Geschäftsräumen, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete. Seitdem versuchen Staatsanwaltschaft und Gläubigeranwälte die Verflechtungen der Firmen und das mutmaßlich betrügerische System dahinter zu entwirren. Beteiligte sehen eine Parallele zum Fall Wirecard, auch weil staatliche Aufsichtsbehörden erst sehr spät reagiert haben. „Es ist völlig unverständlich, dass die Bafin die Geschäfte nicht früher unterbunden hat“, zitiert das Handelsblatt einen Münchener Anwalt, der 100 Gläubiger vertritt.

Die Smethurst-Gesellschaften haben vereinzelt auch Projekte realisiert. In Lichtenberg beispielsweise konnte das Carree Alte Post nach jahrelangen Verzögerungen im Jahr 2020 fertiggestellt werden. Die Dolphin Trust, wie die German Property Group bis 2019 hieß, hatte sich ein ehemaliges Postamt an der Dottistraße vorgenommen und dazu Neubauten realisiert. Die entstandenen Wohnungen sind alle verkauft.

 

 

Dem Kraftwerk Steglitz wurde das Glück eines Neuanfangs nicht zuteil – was nicht heißt, dass die erfolglose Ampere Projektgesellschaft nicht doch einen Blick wert wäre. Belegt das Unternehmen doch eindrucksvoll, dass undurchsichtiges bis kriminelles internationales Geschäftsgebaren die passenden Glücksritter vor Ort braucht.

Geschäftsführer der Steglitzer Ampere Projektgesellschaft war zunächst der schon erwähnte „Kopf“ Charles Smethurst, 2018 übernahm Bernd Reinhard Lommel den Posten bis zur Insolvenz im Jahr 2020. Die Wirtschaftsplattform Northdata listet Lommel in 17 weiteren German Property Gesellschaften als Geschäftsführer auf, alle bis 2020. Lommel ist, auch das ist bei Northdata hinterlegt, im Vorstand des Vereins „Genug gezahlt! In Sachsen e.V.“ Die Gruppierung engagiert sich gegen „Zwangsbeiträge“ für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich stattdessen „neutraler und gerechter organisieren und finanzieren“ soll.

Der Vorstand von „Genug gezahlt“ besteht überwiegend aus AfD-Mitgliedern. Die Vorsitzende und gebürtige Zehlendorferin Karin Wilke war bis 2019 Abgeordnete im sächsischen Landtag, Schriftführer Marko Winter ist Dresdener Stadtverordneter und André Barth (stv. Schatzmeister) ist Landtagsabgeordneter. Lommel selbst ist Schatzmeister des Vereins und Fraktionsgeschäftsführer der AfD Landtagsfraktion.

Dresden ist eine schöne Stadt, wir schauen uns also etwas um, wieder mit Unterstützung der Datenbank von Northdata: Wer mit wem in der Dresdener Geschäftswelt? Wir begegnen Charles Smethurst, Bernd Lommel – und  Andreas Wolfgang Löhr.

 

 

Im Jahr 2018 wurde Löhr Geschäftsführer der Werbeagentur Creative Clou in Dresden (zuvor Hannover). Löhr ist seit Ende 2017 auch Geschäftsführer der Red Rock Services GmbH in Dresden, zuvor in Pohle, dem Wohnort von Charles Smethurst. Zweck des von Smethurst gegründeten Unternehmens: Unternehmensbeteiligungen und Vermögensverwaltung. Auch das Immobilienunternehmen Pinewood Partners International in Dresden wird von Andreas Löhr geführt, sein Vorgänger war Charles Smethurst.

Insgesamt nennt Northdata Löhr mit diversen Positionen in 17 Unternehmen zwischen 2015 und 2024. In einigen Firmen war zeitweise auch Bernd Lommel als Geschäftsführer tätig. Jener AfD-Politiker aus dem Dresdener Landtag, der sein Steglitzer Projekt in den Sand gesetzt hat, weshalb der Staat eingreifen musste. Für das Gelände des Kraftwerks Steglitz steht nun die Zwangsversteigerung an.

Also zurück nach Berlin, wo internationale Anleger richtig viel Geld verloren haben: Laut einer Mitteilung der Gläubigeranwälte vom 18. Januar 2020 seien im Grundbuch mehrere Grundschulden eingetragen worden, die insgesamt 62,3 Millionen Euro betrügen. Das Geld, das diese jetzt wohl komplett abschreiben müssen, sei bei koreanischen und französischen Anlegern eingesammelt worden.

 

 

Denn, so eine Mitarbeiterin des Amtsgerichtes Schöneberg, bleiben in der Abteilung 3 des Grundbuches, also dort wo die Grundschulden eingetragen werden, „keine Rechte bestehen“ – womöglich haben die bisherigen Eigentümer also gar keine Grundschulden eintragen lassen. Betreiber der Zwangsversteigerung ist auch nicht der Insolvenzverwalter, der die Interessen der Gläubiger vertritt, sondern das Finanzamt. Konkreter wollte sich die Rechtspflegerin dazu nicht äußern, beim öffentlichen Versteigerungstermin am 16. Juni werden die Details jedoch bekannt gegeben.

Die Lastenfreiheit macht einen Erwerb für potentielle Investoren attraktiv, und im Prinzip kann das jeder sein. Weil der Verkehrwert mit einem symbolischen Euro festgesetzt wurde, entfällt die Hinterlegung einer Sicherheitsleistung, die im Normalfall 10 Prozent des Verkehrswertes beträgt. Es gebe bereits zahlreiche Nachfragen, bestätigt die Mitarbeiterin des Amtsgerichtes.

Wer hier mitsteigert, lässt sich auf eine Schrottimmobilie ein. Ein Gutachten im Auftrag des Gerichts klassifiziert das Gelände des ehemaligen Umspannwerkes mit seiner Fläche von 13.753 Quadratmetern als wertlos und setzt den Verkehrswert auf Minus 448.000 Euro fest. Alle Gebäude werden als vernachlässigt und wirtschaftlich überaltert beschrieben, es besteht der Verdacht auf Altlasten.

 

 

Einer der Interessenten ist ein Architekt, den wir hier Peter Müller nennen. Wir treffen ihn zufällig an einem schwülwarmen Maitag vor den Toren des Kraftwerksgeländes. Unser beider Anlass: einfach mal gucken. Als ein weißer Transporter das Gelände verlässt, fragen wir, ob wir einen Blick riskieren dürfen. Joah…, brummt der Fahrer und lässt das Tor offen.

Gewerbe, Kultur, Eventfläche – Müller hat Ideen. Und wohl auch einen interessierten Investor. Biergarten am Ufer des Teltowkanals, Veranstaltungen in den Hallen, Ateliers und Gewerbe auf dem gesamten Areal. Vor unseren Augen entsteht eine kleine Kulturbrauerei, das Original an der Schönhauser Allee ist etwa doppelt so groß.

Mitbieter wird auch eine Steglitzer Künstlerinitiative sein, ist aus Kreisen der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zu hören. Es gebe Geldgeber, die die Gruppe unterstützen. Aus Furcht, eine Presseberichterstattung könne weitere Bieter anziehen, wolle sich die Initiative jedoch nicht öffentlich äußern.

Bezirkspolitiker hoffen auf einen Zuschlag für die Künstler und verweisen auf einen Beschluss der Steglitz-Zehlendorfer Bezirksverordnetenversammlung, die sich einhellig für eine kulturelle Nutzung auf dem Kraftwerksgelände ausgesprochen hat. Der Hebel des lokalen Parlaments liegt im Bauplanungsrecht. Der übergeordnete Flächennutzungsplan legt hier Gewerbe fest, ein Bebauungsplan kann eine detailliertere Nutzung beschreiben. Einen Beschluss darüber müsste die BVV fällen.

 

 

Wer auch immer irgendwann an der Birkbuschstraße seine Pläne realisiert: Bis dahin verfällt das Denkmal weiter, und damit ein Stück Steglitzer und Berliner Geschichte:

Das Kraftwerk Steglitz wurde nach acht Monaten Bauzeit im März 1911 eingeweiht, Bauherr war die damals noch selbständige Gemeinde Steglitz im Kreis Teltow. Wenige Jahre zuvor war der Teltowkanal fertiggestellt worden, die benötigte Kohle konnte also mit dem Schiff angeliefert werden. Architekt war der damals noch junge Hans Heinrich Müller, der später als Leiter der Bauabteilung der BEWAG zahlreiche Kraftwerksanlagen in der typischen Backsteinbauweise plante und umsetzte.

Das Kraftwerk wurde in den folgenden Jahren mehrfach ausgebaut und erweitert. Es war Stromlieferant für Industrie, die gemeindeeigene Straßenbahn, Gewerbebetriebe und private Haushalte.

Mit der Gründung Groß-Berlins im Jahr 1920 ging das Gelände in den Besitz der Bewag über, die einige Jahre später damit begann, auch Fernwärme zu produzieren. In dem in den 80er Jahren entstandenen Batterie-Speicher ist heute das Berliner Energie-Museum untergebracht, das von ehemaligen Mitarbeitern gegründet wurde und ehrenamtlich betrieben wird. Das Museum ist nicht nicht mehr Teil des Kraftwerksgeländes und steht somit auch nicht zum Verkauf.

Mit der Wiedervereinigung wurden die regionalen Stromnetze (wieder) verbunden, das Kraftwerk verlor als Energielieferant für die „Insel“ Berlin seine Bedeutung. Die Anlage wurde 1994 stillgelegt. Seit einigen Jahren steht sie unter Denkmalschutz.

Lese- / Videoempfehlung:

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Daniela von Treuenfels