Das Grab Erich Mühsams auf dem Waldfriedhof Dahlem | Foto: Yvonne Schwarz / Semiramis Photoart

 

Zum 85. Todestag des Anarchisten und Bürgerschrecks Erich Mühsam. Das Ehrengrab des Literaten befindet sich auf dem Waldfriedhof Dahlem.

„Ein Anarchist richtet sich selbst“ titelte am 10. Juli 1934 ein Propagandaorgan der NSDAP. Mit „Anarchist“ war der deutsch-jüdische Literat Erich Mühsam gemeint – und der angebliche Suizid war als nationalsozialistische Inszenierung leicht durchschaubar. Kurz zuvor hatte man ihm gesagt, dass er Suizid begehen sollte – oder man sich darum kümmern würde. In der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 1934 ist es dann im KZ Oranienburg, in dem er nach dem Reichstagsbrand inhaftiert wurde, passiert …. Selber hatte Mühsam in seinem Gedicht Der Gefangene einst verkündet:

 

„Ich hab’s mein Lebtag nicht gelernt,

mich fremdem Zwang zu fügen.

Jetzt haben sie mich einkasernt,

von Heim und Weib und Werk entfernt.

Doch ob sie mich erschlügen:

Sich fügen heißt lügen!“

 

Ein paar Tage später wurden seine sterblichen Überreste auf dem Waldfriedhof Dahlem beerdigt, wo auch andere Literaten wie z.B. Gottfried Benn später ihre letzte Ruhe fanden. Mühsams Grab ist mittlerweile ein Ehrengrab der Stadt Berlin, an dem sich traditionell am 9. Juli Menschen zu einer Lesung treffen, um seiner zu gedenken.

Seine öffentliche Beerdigung im Jahr 1934 war kein Gnadenakt, sondern folgte einem politischen Kalkül seitens der Gestapo. Vorgesehen war hierbei eine Verhaftung seiner Frau Zensl, die dieser glücklicherweise durch eine vorherige Flucht ins Ausland umging, womit ihr eigener Leidensweg aber noch lange nicht endete. Sie geriet später u.a. ins Visier der Staatssicherheit und wurde über Jahre observiert. Ihr Leidensweg wurde später von dem Theoretiker der Freien Arbeiter-Union Deutschlands, Rudolf Rocker, unter dem Titel Der Leidensweg der Zensl Mühsam veröffentlicht.

In dem 1878 in Berlin geborenen, aber in Lübeck aufgewachsenen, Erich Mühsam fanden die Nazis eine Reinkarnation von fast allem dessen, was sie abgrundtief hassten und bekämpften – einen „Juden“, einen (vermeintlichen) Homosexuellen, einen Pazifisten, einen sogenannten Novemberverbrecher, einen Anarchisten….

 

Erich Mühsam Streetart in der Hufeisensiedlung in Britz | Foto: Yvonne Schwarz / Semiramis Phototart

 

Nach einer abgebrochenen Apothekerlehre ging Mühsam nach Berlin, schlug sich als klassischer Bohemien durch und wurde zu einem Bürgerschreck. Er dichtete, versuchte sich als Dramatiker (Die Freivermählten), wurde zeitweilig als Rat in der Münchener Räterepublik aktiv, agitierte Wohnungslose für die anarchistische Bewegung, publizierte kritische Zeitschriften wie Kain. Zeitschrift für Menschlichkeit und entwarf ein anarchistisches Programm unter dem Titel Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat, welches sowohl in der Weimarer Republik als auch in der DDR, wo man ihn als Edelanarchist würdigte, verboten war. Damit avancierte er später zu einer Identifikationsfigur für die Punkbewegung in der DDR und später auch im Westen, wo eine Band wie Slime ihm ein ganzes Konzeptalbum widmeten [Soundbeispiel:www.youtube.com].

Mit viel intelligenten Spott kommentierte er in seinen Gedichten die Haltung der deutschen Sozialdemokratie (Der Revoluzzer), kommentierte die erste Welle des Vegetarismus (Vegetarierlied), die in der Lebensreformbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm, und die Kriegsbegeisterung seiner Zeitgenossen (Soldatenlied). Er notierte Anekdoten über die Literatenkreise wie denen im sogenannten Café Größenwahn („Café des Westens“) oder dem Friedrichshagener Dichterkreis um die Brüder Hart, in dem er auch verkehrte, in seinen Unpolitischen Betrachtungen, einer Anspielung auf Thomas Mann (Betrachtungen eines Unpolitischen). In seinem ersten und einzigen Theaterstück Die Freivermählten, welches kurz nach der Veröffentlichung der Zensur zum Opfer fiel, behandelte er das Thema der freien Liebe und Sexualität, wobei tragischerweise der Hauptverfechter seiner Thesen im Stück, Camillo Rack, an seinen eigenen Ansprüchen scheitert. Mühsams Vorliebe für Schüttelreime fand hingegen wenig Beachtung und Begeisterung. Im Falle seines Freundes Gustav Landauer gab es sogar harsche Kritik in Briefen.

Neben dem Kampf für freie Liebe beschäftigte er sich auch frühzeitig mit dem Thema Homosexualität und verfasste bereits 1903 eine Schrift über Homosexualität, die er später kritisch sah. In seinen jungen Jahren hatte er eine Liaison mit dem späteren Verlagslektor vom Aufbau Verlag Johannes Nohl, den er sein Leben lang finanziell unterstützte.

 

Erich Mühsam Streetart in der Lützowstraße in Tiergarten | Foto: Yvonne Schwarz / Semiramis Phototart

 

Sein politisches Werk ist hingegen von anarchistisch-kommunistischen Wertvorstellungen geprägt, die er um den Gedanken einer Organisation in Form einer Rätedemokratie erweitert. Religionskritik, Militärkritik, Infragestellung der Ehe und eine Betonung der Freiheit sind integrale Bestandteil seiner politischen Vorstellungen. Wie der Titel seines Hauptwerkes bereits verrät, spielt er die (Zivil-)Gesellschaft gegen den Staat aus und möchte letzteren zu Gunsten ersterer abschaffen.

Neben der schriftstellerischen und journalistischen Tätigkeit war er auch in der Münchener Räterepublik kurzweilig in einer Führungsposition neben anderen Literaten wie Ernst Toller oder dem Ökonomen Silvio Gesell tätig.

In den Kreisen der Literaturwissenschaft und unter Anarchos ist der Name Erich Mühsam noch bekannt. Daneben droht er etwas in Vergessenheit zu geraten – trotz diverser posthumer Ehrungen.

Neben seinem Ehrengrab erinnert ein Straßenname an den „Edelanarchisten“ und in Charlottenburg schmückt eine Gedenktafel für ihn ein Gebäude. Mehr als solche Ehrungen hätte ihn aber sicherlich gefreut, wenn man befolgt hätte, was er in seinem Gedicht Ehrung der Toten schrieb:

 

„Wollt ihr denen Gutes tun,
die der Tod getroffen,
Menschen, laßt die Toten ruhn
und erfüllt ihr Hoffen!“

 

Anlässlich seines 90. Todestages lädt die VHS Steglitz-Zehlendorf am 10. Juli zu einem Vortrag unter dem Titel „Literat, Revoluzzer und Jude – Erich Mühsam zum 90. Todestag“ ein. Mehr Informationen unter: www.vhsit.berlin.de.

Für den schnellen Einstieg in das Werk Mühsams bietet sich z.B. Erich Mühsam: Trotz allem Mensch sein. Gedichte und Aufsätze, Reclam Verlag (ca. 7 €) an.  

     

Dr. Maurice Schuhmann

Der Autor ist Politikwissenschaftler und Philosoph und lebt in Steglitz-Zehlendorf.

Webseite: https://www.maurice-schuhmann.de