„Zerknülltes Papier“ | Scan: Gesine Wenzel

 

Blumen, Sonnenuntergänge, die Schönheit eines Sees — diese Motive sind wir von Bildern gewohnt. Die bildende Künstlerin Gesine Wenzel dagegen nimmt Gegenstände unter die Lupe, die wir als »Müll« zu entsorgen gewohnt sind.

Ein Jahr lang hat sie täglich Verpackungsmaterial, Papierschnipsel und Eierschalen auf einen umgebauten Scanner gelegt und dabei eine Entdeckung gemacht, die überrascht. Die isolierten Splitter von Eierschalen, die sie aus dem Müll herauslöst, entfalten eine ähnliche Schönheit wie welke Tulpenblätter, zerknülltes Papier oder Bananenschalen. Die Isolation verschafft ihnen einen Raum, in dem sie sich zu etwas entfalten, das die Zuschreibung »Müll« verlässt.

Die Schönheit entsteht dank des stillen Protests der Künstlerin gegen äußere Zuschreibungen und ihre zärtliche Zuwendung zu Produkten, die in der konsumorientierten Wegwerf-Gesellschaft als »Neben-« oder »Abfallprodukte« und sicher nicht als Kunstobjekte gelten. Zwar wissen wir, dass welke Pflanzen oder Eierschalen wertvolle Mineralien enthalten, die über Biomüll dem Kreislauf der Natur wieder zugeführt  werden können. Doch dieses Wissen bleibt in der Regel unverbunden mit unseren ästhetischen Sehgewohnheiten.

Den Blick bewusst auf Müll zu richten, statt ihn auf den Moment zu fixieren, in dem Dinge ihre größte konsumable Schönheit entfalten, entspringt einem Kunstbegriff, der Schönheit nicht über äußere Kriterien definiert, sondern als Ergebnis einer Beziehung versteht, die in den Augen beginnt. Wer Welt abbildet und Kunst produziert, passt sich an vorgefundene Maßstäbe an — oder findet neue.

Gesine Wenzel zeigt etwas, das wir ohne ihre Unterstützung nicht sehen würden, und sie tut das nicht moralisierend, sondern indem sie ihre Sicht transparent macht. Statt millionenfach gesehene Schönheit zu reproduzieren, die durch diese Reproduktion, egal wie neu und ausgefeilt die reproduzierende Technik sein mag, an künstlerischer Wirkung verliert, lenkt sie unauffällig den Blick auf den Reichtum, in dem wir leben. Besonders berührend Bilder wie »Bandsalat«, die wie Stillleben aus den Anfängen des digitalen Zeitalters dessen rasante Entwicklung bezeugen.

 

„Bandsalat“ | Scan: Gesine Wenzel

 

Wer die Ausstellung besichtigen möchte, kann das noch bis zum 10.08.2024 tun. Samstags von 10 bis 12 Uhr ist die Künstlerin vor Ort. In der Kirche wird gleichzeitig zu erschwinglichem Preis ein leckeres Frühstück geboten.

 

Ausstellung »WasteArt«

6. Juni bis 10. August 2024

Petruskirche, Oberhofer Platz, 12209 Berlin-Lichterfelde (Ost)

Eintritt frei, rollstuhlgerecht.

Geöffnet zu Gottesdiensten, Kulturveranstaltungen sowie mittwochs und samstags von 10 bis 13 Uhr.

Für Interessenten bietet Gesine Wenzel Kurse an, um das eigene künstlerische Arbeiten zu schulen. Nähere Informationen: www.gesine-wenzel.de

 

Lea Martin

Die Autorin ist Inhaberin des Joanmartin Literaturverlags in Lichterfelde.