Stadtmöbel mit einzigartiger Aussicht am Kranoldplatz. Das Ensemble, von Anwohnern liebevoll „The Bänk“ genannt, ist ganz ohne Bürgerbeteiligung entstanden. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Während immer mehr Fachleute in der Causa Kranoldplatz grundsätzliche Veränderungen fordern, ist die Bezirkspolitik zu einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Umgestaltung des Platzes nicht bereit.

Ein Kommentar von Stephan Voß

Seit fast 4 Jahrzehnten sorgt die Nutzung und Gestaltung des Kranoldplatzes in Lichterfelde Ost für Diskussionen. Die Bezirkspolitik nahm dies jedoch nie zum Anlass, sich mit den unterschiedlichen, keineswegs immer homogenen Vorstellungen der Bürgerschaft, der Marktleute und des Einzelhandels zur Zukunft des Kranoldplatzes ernsthaft auseinanderzusetzen. Wünsche und Vorschläge der Bürgerschaft und des Einzelhandels, den Platz unter Beibehaltung seiner Funktion als Marktplatz zu einem attraktiven Platz mit hoher Aufenthaltsqualität im Zentrum von Lichterfelde Ost zu entwickeln, wurden bislang ignoriert.

Nun hat die Zählgemeinschaft aus GRÜNEN, SPD und FDP einen Antrag zur Umgestaltung des Kranoldplatzes in die BVV eingebracht: ein Erfolg des Bündnisses für einen lebendigen Kranoldplatz, das den Parteien mit seinem von fast 2.000 Bürgerinnen und Bürgern unterschriebenen Einwohnerantrag zur Neugestaltung des Kranoldplatzes seit Oktober 2023 gehörig Druck gemacht hatte. Positiv ist, dass nun endlich Bewegung in die Debatte um die künftige Nutzung des Kranoldplatzes kommt und zwar über seine unumstrittene Funktion als Marktplatz hinaus.

Wenig überzeugend sind jedoch die Vorstellungen der Zählgemeinschaft zur Zukunft des Platzes. Diese lassen sich nur zwischen den Zeilen aus dem Ideensammelsurium des Antrages herauslesen bzw. vor allem aus dem, was nicht im Antrag steht. So soll z. B. eine Anhebung von Platz, Fahrbahn und Gehsteig auf ein einheitliches Niveau lediglich für die südlich am Platz gelegene Straße geprüft werden, nicht jedoch für den östlich des Platzes gelegenen Teil der Ferdinandstraße. Ein solches Vorgehen ist weder nachvollziehbar noch findet sich im Antrag der Zählgemeinschaft eine Begründung dafür. Optionen, die Platzfläche für den Markt und andere Nutzungen so weit wie möglich zu vergrößern, werden so ohne jede Not gar nicht erst ins Auge gefasst. Auch eine Prüfung, ob eine der oder beide genannten Straßen für den motorisierten Individualverkehr (MIV) geschlossen werden sollten, ist in dem Antrag nicht vorgesehen, obwohl deren Ergebnis erhebliche Auswirkungen auf die Gestaltung des Platzes haben könnte. Dies gilt ebenfalls für die nicht vorgesehene Prüfung der Frage, wie im Zentrum von Lichterfelde Ost der Bedarf an Parkplätzen einzuschätzen ist und gedeckt werden kann. Darüber hinaus wird die Frage, welche Gestaltung des Platzes sich wie auf die wirtschaftliche Entwicklung des Marktes und des Zentrums von Lichterfelde Ost auswirkt, nicht als prüfungsrelevant anerkannt.

Auf solche Prüfungen zu verzichten, bedeutet, auf für die Neugestaltung des Kranoldplatzes und seiner Umgebung wichtige Erkenntnisse zu verzichten. Dazu passt, dass die Zählgemeinschaft in gleichem Atemzug schon jetzt und ebenfalls ohne jegliche weitere Prüfung festschreibt, dass der Kranoldplatz in Teilen Parkplatz bleiben muss, obwohl verschiedene Expertisen belegen, dass in den Parkhäusern rund um den Kranoldplatz erheblicher Leerstand herrscht (TU Berlin, Standortmanagement Kranoldkiez, Initiative lebenswerter Kranoldplatz). Der Verzicht auf die genannten Prüfungen lässt allerdings ein erstes klares Bild davon entstehen, wie sich die Ampel die Zukunft des Kranoldplatzes vorstellt:

Der Platz soll in jedem Fall ein von allen ihn umgebenden Straßen und dem dortigen Verkehr eingerahmter möglicherweise etwas vergrößerter Markt- und möglicherweise etwas verkleinerter Parkplatz mit Parksuchverkehr auf dem Platz und wohl auch auf den ihn umgebenden Straßen bleiben. Der motorisierte Individualverkehr bliebe damit – anders als es das Berliner Mobilitätsgesetz vorsieht – das Maß aller Dinge.

Zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität hält die Ampel am oder auf dem Platz mobile Sitzgelegenheiten und Sonnenschirme für „denkbar“ und an einigen festzulegenden Tagen würde sie auch „Initiativen zur Förderung der Gastronomie“ „begrüßen“. Die Ampel formuliert hier sehr vage und verbleibt im Unverbindlichen. Zudem passen mobile Stadtmöbel und gelegentliche Gastronomie exakt zu der in dem Antrag unter dem Stichwort „Aufenthaltsqualität“ genannten gar nicht neuen Funktion des Platzes als temporärem Veranstaltungsort, sie schaffen jedoch keine dauerhafte Aufenthaltsqualität.

Grün auf dem Platz, Entsiegelung in Form versickerungsfähiger Flächen sowie schattenspendende und kühlende Elemente und damit implizit der notwendige Schutz des Klimas und der Bürgerinnen und Bürger vor Lärm, Hitze und schlechter Luft werden im Antrag der Ampel – anders als der Erhalt von Parkplätzen auf dem Kranoldplatz – lediglich als „wünschenswert“ bezeichnet, obwohl Klimaschutz mehr denn je Maxime politischen und staatlichen Handelns sein müsste. Er ist nicht „wünschenswert“, sondern für uns alle lebensnotwendig und auch deshalb für die Politik eine Verpflichtung. Zu diesem mit Blick auf die Aufenthaltsqualität und den Klimaschutz unverbindlichen Ideenpotpourri des Ampelantrages passt es auch gut, dass dort weder die Entwicklung eines Konzepts für die Nutzung des Kranoldplatzes noch die eines integrierten Stadtentwicklungskonzeptes (ISEK) Thema ist – eine Voraussetzung für die Inanspruchnahme von städtebaulichen Fördermitteln, ohne die sich ein nachhaltiger Umbau des Platzes finanziell gar nicht stemmen lässt.

Werden die Ideen der Ampel umgesetzt, wird es keinen attraktiven städtischen Platz mit alltäglicher Aufenthaltsqualität, der zur Begegnung und zum Verweilen einlädt und der vor allem zu einer besseren Einkaufsqualität im Zentrum von Lichterfelde Ost führt, geben: Die wirtschaftlichen Potentiale eines attraktiven Platzes im Zentrum von Lichterfelde Ost blieben für Marktleute, den Einzelhandel und für den Dienstleistungssektor ungenutzt.

Darüber hinaus sind wesentliche Forderungen der Marktleute, wie die nach einer zusammenhängenden Marktfläche während des Platzumbaus sowie einer möglichst kurzen Umbauzeit – anders als im nunmehr von der BVV abgelehnten Einwohnerantrag des Bündnisses für einen lebendigen Kranoldplatz – im Ampelantrag nicht enthalten. Eine Kommunikationsstrategie, mit der der Umbau des Platzes so begleitet wird, dass die Kundschaft dem Markt gerade während des Umbaus treu bleibt, findet dort ebenfalls keinerlei Erwähnung.

Leider fehlt in dem Antrag der Ampel auch jegliche Bezugnahme auf die Ergebnisse der Arbeit des von der bezirklichen Wirtschaftsförderung beauftragten ehemaligen Standortmanagements, auf die Ergebnisse der Studie der TU Berlin zum Kranoldplatz und des neuen Zentren- und Einzelhandelskonzepts für Steglitz-Zehlendorf sowie auf fachlich anerkannte Standards im Städtebau und in der Stadtplanung.

Aktuell wenden sich der Stadtplaner und Architekt Dr. Günter Schlusche und der Diplomingenieur Thomas Waschke – beide leben in Lichterfelde Ost – mit Stellungnahmen zur Zukunft des Kranoldplatzes an die Bezirkspolitik. Dass der Antrag der Ampel auch vor deren Hintergrund dringend einer Überarbeitung bedarf, bevor er der BVV zur Entscheidung vorgelegt wird, macht allein schon ein erster kurzer Blick in diese Expertisen deutlich: So halten die Autoren zum Beispiel die Umgestaltung des Platzes „zu einem klimagerechten und nachhaltigen Stadtplatz“ (Schlusche) bzw. „Maßnahmen auf lokaler Ebene zur Anpassung an klimatische Veränderungen“ (Waschke) für unabdingbar. Sie betonen darüber hinaus, dass die Umgestaltung des Platzes „der Schlüssel zu einer wirtschaftlich tragfähigen Perspektive des Wochenmarktes und der gewerblichen Anrainer“ sei (Schlusche) bzw. dass es um „die Sicherung und Weiterentwicklung der Einkaufsqualität rund um den Platz und im gesamten Zentrum von Lichterfelde Ost“ gehe (Waschke). Mit  Blick auf den Verkehr vor Ort fordern sie die „Gestaltung der Mobilitätssituation entsprechend einer zukunftsgerichteten Umsetzung des Berliner Mobilitätsgesetzes auf bezirklicher Ebene“ (Waschke) bzw. sehen dringenden Handlungsbedarf bezüglich eines Autoverkehrs, „der mit seinen Lärm- und Abgasemissionen in unangemessenem Tempo die Qualität des gesamten Platzbereichs stark beeinträchtigt und die Platzfläche reduziert“, auf der er als ruhender Verkehr für über 90 % der verfügbaren Nutzungszeit „seine lähmende Wirkung“ ausübe (Schlusche).

Die Ampel wird mit ihrem Antrag, sollte er so, wie er derzeit formuliert ist, eine Mehrheit finden, schon jetzt ohne Not und vor allem ohne hinreichende Analysen, Bewertungen, Begründungen und auch öffentliche Debatten weitreichende Festlegungen für die Zukunft des Kranoldplatzes und damit für die Entwicklung des gesamten Zentrums von Lichterfelde Ost treffen. Angemessen und fachlich dringend erforderlich wäre es jedoch, insbesondere angesichts bereits deutlich spürbarer Bedrohungen durch den Klimawandel verschiedene Optionen für die Umgestaltung des Kranoldplatzes und seiner Umgebung im Rahmen eines integrierten Gesamtkonzeptes vor dem Hintergrund fachlicher Standards im Bereich der Stadtplanung und des Städtebaus, des Berliner Mobilitätsgesetzes sowie definierter Entwicklungsziele für das Zentrum von Lichterfelde Ost erst einmal ergebnisoffen zu prüfen.

Dieses Vorgehen in Kombination mit der Weigerung der Zählgemeinschaft, Betroffene bereits in dieser, d.h. der Analyse- und Entwicklungsphase des Vorhabens „Umgestaltung des Kranoldplatzes“ zu beteiligen, wie es die „Leitlinien für Beteiligung von Bürger_innen in Steglitz-Zehlendorf“ vorsehen und wie es das Bündnis für einen lebendigen Kranoldplatz gemeinsam mit den Marktleuten bislang erfolglos gefordert hat, ist nicht geeignet, eine für das Zentrum von Lichterfelde Ost zukunftsweisende und nachhaltige Entwicklung anzustoßen und eine von allen Beteiligten akzeptierte, am Gemeinwohl orientierte Lösung der Konflikte um die Nutzung des Kranoldplatzes herbeizuführen.

Stephan Voß ist ehrenamtliches Mitglied des Redaktionsteams der Stadtrand Nachrichten. Zugleich ist er ein Vertreter der „Initiative Lebenswerter Kranoldplatz“ im „Bündnis für einen lebendigen Kranoldplatz“.

Lesen Sie dazu den Bericht „Kranoldplatz: Einwohneranträge abgelehnt“

 

 

Die Stadtrand-Nachrichten finanzieren sich durch Spenden ihrer Leserinnen und Leser.

Wenn es Ihnen hier gefällt, Sie etwas Spannendes entdeckt oder etwas Neues gelernt haben, können Sie uns via Paypal ein Trinkgeld dalassen.

Herzlichen Dank!

Hier geht es zu unserem Paypal-Konto