Die „Rauchlose Siedlung“ im September 1932. Bildquelle: Wikipedia

 

Glücksritter, Zocker, Betrüger – was skrupellose Geschäftemacher rund um das denkmalgeschützte Ensemble des ehemaligen Kraftwerks Steglitz an der Birkbuschstraße anrichten, löst allgemein Entsetzen aus. Dabei gibt es Ideen und Konzepte, die nur auf ihre Umsetzung warten. Unser Gastautor Paul Jerchel plädiert für eine Gewässer-Wärmepumpe am Teltowkanal.

Immobiliennetzwerke, AfD, „Clanmilieu“: Auch nach der Zwangsversteigerung des Kraftwerks Steglitz scheint die Zukunft des Standorts ungewiss. Dabei könnte ein Blick knapp hundert Jahre in die Vergangenheit zeigen, was wieder aus dem einst so innovativen Standort werden könnte.

Vor ein knapp einhundert Jahren entstand südlich des Friedhofs Steglitz nicht weniger als eine kleine Revolution: Fertiggestellt in der Endphase der Weimarer Republik war die sogenannte „Rauchlose Siedlung“ um 1930 die erste vollständig durch Fernwärme und Warmwasser versorgte Wohnsiedlung des Deutschen Reiches – und dadurch namensgebend frei von Schornstein und Kohlestaub. Möglich machte das einzig und allein die Erweiterung des Kraftwerks Steglitz, die die Großsiedlung unter den Teltowkanal hinweg mit Fernwärme versorgten. Gepaart mit der, ebenfalls modernen, Vollelektrifizierung waren die bis heute etwa 1000 Wohnungen umfassenden Häuserreihen entlang des Steglitzer- und Munsterdamms eine bis heute nachwirkende Innovation der Bau- und Energietechnik.

Auch später war das Kraftwerk Steglitz wieder Vorreiter, damals wie heute aus unmittelbarer Notwendigkeit geborener Technik: Jahrzehnte vor Tesla Megapack und anderen Großspeichern war die im Kraftwerk ab Mitte der 1980er-Jahre beherbergte Batteriespeicheranlage Steglitz der zeitweise größte zentrale Stromspeicher der Welt. Er sollte das eingekesselte West-Berlin noch unabhängiger machen und bei abrupten Mehrbedarfen frequenzstabilisierend auf das Stromnetz einwirken.

Vergleicht man heute die – über die Senatsverwaltungen Berlins öffentlich zugänglichen – Verbrauchsdaten der Rauchlosen Siedlung mit dem Potential möglicher Photovoltaik-Anlagen auf deren Dachflächen, so könnte die Wohnsiedlung wohl im Jahresmittel den eigenen Strombedarf vollkommen decken. Eine derartige Anlage wäre auch nach Fertigstellung der Solaranlage der Messe Berlin die bis dato größte Solaranlage Berlins auf einem zusammenhängenden Wohngebäudekomplex. Dies dürfte auch aufgrund der Flachdächer denkmalschutzrechtlich unbedenklich sein. Damit könnte die „Rauchlose Siedlung 2.0“ nach fast einhundert Jahren wieder zu einem energietechnischen Leuchtturm im Berliner Südwesten werden. Die Voraussetzungen scheinen auch dank der Fernwärme gut:

Eine zum Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“ des Fraunhofer IEE erstellte Potentialstudie attestierte 2021 dem Teltowkanal eines der größten Potentiale für Gewässer-Großwärmepumpen Berlins. Dabei müsste deren Erschließung kein rein öffentliches Unterfangen sein: Die Beteiligung des Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf an einer lokalen Nahwärmegenossenschaft zeigt, wie Bevölkerung und öffentliche Hand sinnvoll kooperieren könnten. Ob sich der Standort des Kraftwerks Steglitz für eine solche Flussthermie-Anlage eignen würde, vermag der Autor dieses Beitrags nicht zu sagen. Angesichts der aktuellen Situation könnte die Rückschau auf die Errungenschaften vergangener „Energiewenden“ im Bezirk allerdings eine Inspiration für die kommenden sein.

Paul Jerchel

Der Autor ist Mitglied des Klimafreundlichen Stadtparkviertel Berlin-Steglitz e.V.

Haben Sie auch eine Idee für die Zukunft des Kraftwerks Steglitz? Wir freuen uns auf Ihren Beitrag. Schreiben Sie uns: redaktion@stadtrand-nachrichten.de

Bildnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Feuer-_und_Rauchlose_Stadt_1932.png