Rudi Wunderlich sollte einem Mitarbeiter des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes die Wohnung renovieren. Sein irregulärer ziviler Einsatz gab dem KZ-Häftling die Gelegenheit zur Flucht. Am damaligen Standort der Behörde startet die Gedenkfahrt. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Radeln und Gedenken: Die 2001 gegründete Initiative KZ-Außenlager Lichterfelde e.V. lädt ein zur Erinnerungs-Tour. Am 15. Juni geht es von Lichterfelde nach Mitte, entlang des Fluchtwegs von Rudi Wunderlich vor 80 Jahren.  

Rudi (Rudolf) Wunderlich, 1912 geboren, war Mitglied der KPD. Nach 1933 wird er mehrfach wegen »illegaler Arbeit« verhaftet. Er kommt in Polizeihaft, ins Zuchthaus und schließlich ins Konzentrationslager. Im März 1939 wird Rudi Wunderlich im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert und im Juni 1942 in das Außenlager Lichterfelde verlegt.  

Der Berliner Südwesten war eine Nazi-Hochburg. Die NSDAP fuhr bei den Wahlen zum Reichstag im Juli 1932 im Bezirk Steglitz starke 42,1% der Stimmen ein (Gesamtberlin 28,6%). Der „Führer“ bedankte sich in den folgenden Jahren mit der Ansiedlung mehrerer Institutionen und Ämter, unter anderem mit der Errichtung des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes in der Straße Unter den Eichen. 

Während die Nazis ihre Anhängerschaft bei Laune hielten, organisierten sie gleichzeitig die Vernichtung ihrer Gegner, beides in einer beachtlichen Geschwindigkeit. Ab Februar 1933 erlaubte die neue „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ die Schutzhaft für politische Gegner. Am 22. März wurde das KZ Dachau eröffnet. 1936 wurde das KZ Sachsenhausen errichtet. Nachdem der Transport der Zwangsarbeiter und die Umsetzung der Massenvernichtung immer aufwendiger wurde – kam das 1942 gegründete Wirtschaftsverwaltungshauptamt ins Spiel. 

In der „Verwaltungszentrale des Holocaust“ wurde die Logistik von Deportationen geplant oder der Einsatz der Inhaftierten organisiert. Dem Amt waren sämtliche Konzentrationslager im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten unterstellt. Auch der Bau von Außenlagern wie jenes für Sachsenhausen in Lichterfelde wurde von hier aus gesteuert. Für den Bau der Baracken an der Wismarer Straße setzten die Nazis Häftlinge aus dem Hauptlager ein. 1942 entstanden hier insgesamt 13 Gebäude, darunter vier Baracken für Häftlinge. 

In der Spitze arbeiteten in Lichterfelde 1300 Menschen zwangsweise für verschiedene SS-Standorte, in diversen Ämtern oder beim Bau von Bunkern und Baracken. Zuständig für Logistik und Einsatzplanung: das Wirtschaftsverwaltungshauptamt

 

An der Adresse Unter den Eichen 135 war früher das Wirtschaftsverwaltungshauptamt. Die Behörde war zuständig für die bürokratische Korrektheit und die Logistik der KZ-Struktur der Nationalsozialisten. | Foto: dt

 

Die Mitarbeiter des Amtes liehen sich offenbar manchmal Arbeiter für den Einsatz bei privaten Bauprojekten aus. Rudi Wunderlich wird jedenfalls der Behörde zugeteilt und landet in der Wohnung eines SS-Mannes, um dort Renovierungsarbeiten durchzuführen. Hier sind ungestörte Telefonate möglich, die es ihm erlauben, seine Flucht vorzubereiten. 

Rudi Wunderlich gelingt die Flucht. Er besorgt sich einen Monteuranzug, nimmt das Fahrrad eines SS-Mannes und fährt quer durch Berlin. Am Rosa-Luxemburg-Platz ruft er eine Frau namens Lott aus einer Telefonzelle an. Sie wohnt in der Schliemannstraße 9 und versteckt Rudi Wunderlich für drei Monate. 

Der Verlauf dieses Drahtesel-Ritts auf dem Vulkan vom 10. Juni 1944 ist die Strecke der Gedenkfahrt am 15. Juni 2024 – 80 Jahre später. 

Die Radtour beginnt Unter den Eichen 135, hier stand früher das Wirtschaftsverwaltungshauptamt, eine Gedenktafel am Gebäude erinnert heute an die Aufgaben der damaligen Behörde. Vor dem Haus erklären zwei Informationstafeln über den „Mahnort“. 

Nach einer kurzen Auftaktkundgebung, erklärt Thomas Schleissing-Niggemann von der Initiative KZ-Außenlager Lichterfelde, geht es „immer geradeaus“ Richtung Alexanderplatz mit einer kurzen Verschnaufpause am Leipziger Platz. Dann radelt die Gruppe bis zum Helmholtzplatz, „denn das Haus Schliemannstraße 9 gibt es nicht mehr.“ Dort endet die Fahrt nach einem Schlusswort. 

 

Rudi-Wunderlich- Gedenkfahrt 

Aus dem Konzentrationslager in die Freiheit.

15. Juni 2024

Beginn 11:00 Uhr, Unter den Eichen 126-135, 12205 Berlin 
Ende circa 12:30 Uhr am Helmholtzplatz, 10437 Berlin 
Veranstalter: Initiative KZ-Außenlager Lichterfelde e.V. http://www.ikz-lichterfelde.de/  

Anmeldung unter: vorsitzender@ikz-lichterfelde.de 

 

Daniela von Treuenfels 

 

Die Informationen für diesen Beitrag sind teilweise der empfehlenswerten Publikation „Das KZ-Außenlager Lichterfelde“ der gleichnamigen gemeinnützigen Initiative entnommen. Die Broschüre kann über die Webseite des Vereins kostenlos bezogen werden. 

 

Korrekturhinweis:
In einer ursprünglichen Fassung haben wir geschrieben, mit dem Bau des KZ Dachau habe man Ende 1934 begonnen. Die Information hatten wir der oben genannten Broschüre entnommen. Die KZ Gedenkstätte Dachau teilte uns daraufhin mit, dass das Konzentrationslager bereits im März 1933 eröffnet wurde. Wir danken für den Hinweis, die entsprechende Stelle ist korrigiert.