Die ehemalige Unterkunft für wohnungslose Menschen in der Klingsorstraße. | Foto: Daniela von Treuenfels

Wegen Schädlingsbefall musste die Obdachlosenunterkunft in der Klingsorstraße 119 geschlossen werden. Nun berichten die Nachbarn über Schaben in ihren Häusern. Ihre Beschwerden zerschellen an den Mühlen des Gesundheitsamtes.

Karina Schuster (Name geändert) ist verzweifelt. Im Namen mehrerer direkter Nachbarn des Grundstücks Klingsorstraße 119 wendet sie sich seit einiger Zeit mit dringenden Beschwerden an das Steglitz-Zehlendorfer Bezirksamt, erstmals am 24. Mai per Mail. Darin beschreibt die Familie die derzeitige Situation vor Ort so: „Aktuell steht das Gebäude leer. Das Gelände ist jedoch weiterhin mit Sperrmüll, Unrat und offen zugänglichen Bereichen belastet. In den vergangenen Wochen haben mehrere Nachbarinnen und Nachbarn vereinzelt Schabenbefall in ihren Wohnungen festgestellt“. Die Schusters vermuten einen Zusammenhang mit der Schließung der Obdachlosenunterkunft, die am 31. März auf Anordnung des Gesundheitsamtes geschlossen wurde (die Stadtrand-Nachrichten berichteten).

Der Schließung waren Hygienebegehungen vorausgegangen, eine im vergangenen Jahr und eine im März, wie die zuständige Stadträtin Carolina Böhm (SPD) erklärt. Im gesamten Haus seien verschiedene Schabenarten festgestellt worden, so die Gesundheitsdezernentin. Eine zwangsweise Schließung sei unumgänglich gewesen.

Wir haben die Betreiberin der Unterkunft, die Klingsor Wohnheim GmbH, um eine Stellungnahme gebeten. Unsere Anfrage wurde nicht beantwortet. Ganz offensichtlich hat in dem Unternehmen niemand auf den Missstand reagiert.

Doch vor einigen Wochen haben die Bewohner, die ihre Unterkunft kurzfristig verlassen mussten, Gelegenheit erhalten, ihre noch dort befindliche Habe abzuholen – unter den Augen von Familie Schuster: Mehrere Personen hätten Teile ihrer Sachen nicht mitgenommen, weil Ungeziefer sich dort eingenistet hätte. Im Haus, so hätten es die ehemaligen Bewohner berichtet, befänden sich zahlreiche Tiere und die Zustände seien untragbar. Auch seien Kühlschränke noch mit verdorbenem Essen gefüllt gewesen. Karina Schuster bilanziert: „Es fand weder eine Räumung noch eine Hygienebehandlung des Hauses statt, sämtliche Gegenstände, Kleidung und Nahrungsmittel befinden sich nach wie vor dort.“

In dieser Zeit versucht die Familie, einen Kontakt zum Gesundheitsamt herzustellen. Es gibt „keinerlei schriftliche Reaktion. Kein Hinweis, keine Rückmeldung, keine Bestätigung des Eingangs. Wir mussten mehrfach telefonisch beim Gesundheitsamt nachhaken, um überhaupt Gehör zu finden“. Schließlich erreicht die Familie, dass eine Vertreterin des Gesundheitsamtes vorbeikommt – um doch wieder enttäuscht zu werden. Die Mitarbeiterin, so berichtet es Karina Schuster, habe kurz das Grundstück von außen inspiziert und der Familie geraten, einen Schädlingsbekämpfer zu beauftragen. „Das hatte ich zu diesem Zeitpunkt längst getan.“ 

 

Die Nachbarschaft dokumentiert ihre ungebetenen Gäste. | Foto: privat

 

Tatsächlich hält sich das Gesundheitsamt in diesem Fall für nicht zuständig. Schaben würden nicht von Haus zu Haus wandern, erklärt Carolina Böhm. Die Stadträtin hat damit eine andere Auffassung als der Schädlingsbekämpfer von Familie Schuster. Insbesondere Küchenschaben, zitiert Karina Schuster den von ihr beauftragten Fachmann, „wandern durch Fenster, Rohre, Leitungsschächte und Hohlräume in alle Richtungen. Solange das Gelände selbst – offen zugänglich, vermüllt, unbehandelt – nicht gesichert und dekontaminiert wird, verlagert sich das Problem nur, unter anderem in Wohnungen, Keller und sogar Gemeinschaftseinrichtungen.“

Über dem Streit der Gelehrten steht die Frage: Wer sorgt für Ordnung? Verantwortlich für die Beseitigung der Tiere sei der Eigentümer, sagt die Gesundheitsstadträtin. Doch während Familie Schuster – und mittlerweile vier weitere betroffene Nachbarn – sich kümmern, weiß der Eigentümer des Hauses Klingsorstraße 119 nicht einmal, dass es ein Problem gibt.

Per Brief hatten die Stadtrand-Nachrichten in der vergangenen Woche bei Abdallah Neeman nachgefragt, was er gegen den Schädlingsbefall in seiner Immobilie zu tun gedenkt. Als Reaktion erhalten wir am Montag einen Anruf von jemandem, der sich als Herr Neeman, Sohn des Besitzers, vorstellt. Seinen Vornamen verrät er nicht. Er verwalte das Haus im Namen seines Vaters. Man sei am Wochenende vor Ort gewesen und habe sich ein Bild gemacht. Ein Schädlingsbekämpfer werde beauftragt. Und nein, das Gesundheitsamt habe ihn bisher nicht über die katastrophalen hygienischen Zustände informiert.

Der Senior ist im Bezirk vor allem als Gastronom bekannt. Bis vor einigen Jahren führte er das Restaurant Eierschale in Dahlem – zunächst erfolgreich. Ab 2017 schreibt Abdallah Neeman Verluste, wie aus den Daten der Wirtschaftsplattform North Data hervorgeht. Am 3. September 2020 wird „wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung“ schließlich das Insolvenzverfahren eröffnet, das sich über einige Jahre hinzieht. Seit dem März diesen Jahres hat die Eierschale einen neuen Besitzer.

Auch das Graffiti am Adenauerplatz hat Neeman gegründet, der wirtschaftliche Erfolg ist überschaubar. NorthData zufolge waren die Verluste in den Jahren 2014 bis 2022 insgesamt höher als die Gewinne. Im Januar diesen Jahres hat Abdallah Neeman das Unternehmen verlassen.

Insgesamt war oder ist Abdallah Neeman an mindestens acht Unternehmen beteiligt. Geschäftspartner sind unter anderem eine Reihe weiterer Neemans. Manchmal haben die Akteure andere Nachnamen, aber die gleiche Geschäftsadresse in einem Wohnhaus in der Schöneberger Hauptstraße. Es gibt neben Abdallah auch einen Abdullah Neeman, beide Jahrgang 1961 – ein Schreibfehler? Ein Verwandter? Oder der Versuch der Verschleierung? Man weiß es nicht. Jedenfalls entsteht der Eindruck von eher wenig gesunden Unternehmen, beispielsweise die Tahhan Trading GmbH mit ihrem Geschäftsführer Abdallah Neeman. Zweck der Gesellschaft: „Der Handel, Im- und Export von und mit Waren verschiedener Art insbesondere Kraftfahrzeuge und Kfz-Teile; der Erwerb und das Verwalten eigener Immobilien und Gaststätten sowie deren Betrieb“. Das Unternehmen machte laut Northdata von 2010 bis 2017 durchgehend nur Verluste. Aktuellere Zahlen sind nicht vorhanden.

Interessant ist, in welche Projekte Neeman Senior das Geld, das er nicht verdient, investiert. 2012 erwarb er laut einem Bericht der Berliner Morgenpost das ehemalige Hotel-Restaurant Entenkeller in Frohnau im Rahmen einer Zwangsversteigerung. Jetzt, nach 13 Jahren, gibt es einen Bauantrag und damit die Hoffnung auf den Erhalt der denkmalgeschützten Immobilie. Abdallah Neeman präsentiert sich in Reinickendorf als „erfolgreicher Immobilienentwickler“ (Morgenpost), und Stadträtin Korinna Stephan freut sich laut der Zeitung darüber, dass Neeman nun offenbar kooperativ und engagiert sei, nachdem die Parteien zuvor kurz vor einem Ordnungswidrigkeitsverfahren gestanden hätten. Den Stadtrand-Nachrichten gegenüber möchte Stephan sich nicht äußern. Die Frage, ob ihrem Amt die Insolvenz in Dahlem bekannt ist, wollte die Stadträtin nicht beantworten.

Nun ist Scheitern nichts Verwerfliches. Hilfreich ist auch, wenn die Familie aushelfen kann. Im Neeman-Universum gibt es nämlich auch Firmen, die gut laufen. Beispielsweise die Erfurter Obdach GmbH in Schöneberg. Das Unternehmen betreibt in der Erfurter Straße 7-8 in Schöneberg eine Unterkunft für Wohnungslose für bis zu 250 Personen (eigene Angaben).

Das Heim war im Jahr 2020 in den Schlagzeilen, als der RBB den Verdacht auf Sozialhilfebetrug öffentlich machte. Der Beitrag ist im Netz nicht mehr zu finden, aber einige Berichte anderer Medien, die sich auf diesen Bericht beziehen. Demnach wurden in der Erfurter Straße und weiteren verschiedenen Berliner Heimen Bewohner beobachtet, wie sie ihre Einkäufe mit „Luxuswagen“ organisierten. Bezirksstadtrat Matthias Steuckardt (CDU) ließ sich im Magazin Focus damals zitieren: „Ich habe selbst gesehen, wie offenbar osteuropäische EU-Migranten ihre dicken Autos auf Gehwegen parkten, die Einkäufe aus dem Wagen holten und in das Obdachlosenheim brachten.“ Fragen der Stadtrand-Nachrichten zur aktuellen Situation beantwortete Steuckardt nicht.

Gründerin der Erfurter Obdach GmbH ist Y. Neeman. Einige Monate lang war W. Neeman der Geschäftsführer dieser Gesellschaft, seit Juni 2019 führt Y. das Unternehmen alleine. W. könnte derjenige sein, der seinen Vater in Sachen Wohnheim Klingsorstraße vertritt, muss aber nicht. Im familiären Firmengeflecht der Neemans tauchen weitere Personen auf, die männliche Vornamen haben und auch altersmäßig Abdallah Neemans Sohn sein könnten.

Im Vergleich zu anderen Betrieben des Firmengeflechts steht das Schöneberger Wohnheim wirtschaftlich glänzend da. Was nicht weiter verwundert, da die Einrichtungen für Wohnungslose für die Betreiber wahre Goldgruben sind, wie eine aktuelle Anfrage der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus deutlich macht: Demnach steigt die Zahl der „ordnungsrechtlich untergebrachten Personen“ seit Jahren stetig und erreichte im Jahr 2023 (Stichtag 31.1.2024) den Rekordwert von 44.814 Menschen, eine Steigerung um 10.000 Personen im Vergleich zum Vorjahr. Jede und jeder Einzelne hat einen Rechtsanspruch auf Unterbringung, zuständig sind die Bezirke.

Die Kosten sind intransparent und werden mit jedem Betreiber individuell verhandelt. Die Preise sind abhängig von Faktoren wie der Bettenanzahl pro Zimmer oder ob die Zimmer eigene Küchen und Bäder haben. Wie aus der Antwort der Sozialverwaltung hervorgeht, gab es im April 2025 in Berlin insgesamt 580 Unterkünfte, 90 Prozent davon werden von gewerblichen Anbietern betrieben. Pro Person und Tag zahlt das Land Berlin durchschnittlich 35 Euro, die Preise bewegen sich zwischen 19 und 71 Euro. Die Gesamtkosten für die Unterbringung wohnungsloser Menschen im Jahr 2023 lagen bei 354 Millionen Euro, rund 90 Millionen mehr als im Jahr zuvor. Diese Zahlen entstammen einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen von Mai 2024, die Summe dürfte mittlerweile höher sein.

Eine Studie der Alice-Salomon-Hochschule aus dem vergangenen Jahr bemängelte fehlende Standards. Professorin Susanne Gerull, gemeinsam mit 16 Studierenden Verfasserin der Expertise, kritisierte den Fokus auf Gefahrenabwehr, soziale Unterstützung spiele eine Nebenrolle. In den Mindeststandards für die ASOG-Unterbringung sei eine soziale oder psychologische Begleitung nicht vorgesehen, einige Einrichtungen ließen die Bewohner auf sich alleine gestellt. Die Qualität und die hygienischen Bedingungen seien sehr unterschiedlich, unzumutbare Zustände kein Einzelfall. Das soll sich jetzt nach und nach ändern: Die Sozialverwaltung verspricht ein Qualitätsmanagement im Rahmen einer neuen „Gesamtstädtischen Steuerung der Unterbringung“; In Zukunft soll es eine verpflichtende soziale Betreuung in den Unterkünften geben.

In der Klingsorstraße war kein Sozialarbeiter im Einsatz, wie Stadtrat Tim Richter bestätigt. Von den verfügbaren 100 Plätzen sei zuletzt nur ein Drittel belegt gewesen, was wohl auch an den desaströsen Zuständen lag. Laut Richter versuchte das Amt, auf die Betreiberin einzuwirken. Sie sei mehrfach ermahnt und darauf hingewiesen worden, „dass die Belegungsempfehlung entzogen würde, sofern den festgestellten Mängeln und der unzureichenden Kooperation zu deren Beseitigung nicht nachgekommen wird.“

Eine „Belegungsempfehlung“, also die Prüfung der möglichen Betreiber auf ihre Eignung, ist Sache des Bezirks. Die tatsächliche Belegung erfolgt zentral über das Landesamt für Gesundheitsamt und Soziales (LaGeSo). Das bezirkliche Sozialamt verhandelt mit potentiellen Betreibern auch über die Höhe der Tagessätze und ist Ansprechpartner für Probleme und Beschwerden. Theoretisch, so Stadtrat Richter, sei eine Wiederbelegung des Heims in der Klingsorstraße möglich. Dazu müsste das Genehmigungsverfahren komplett neu durchlaufen werden.

Auch Gesundheitsstadträtin Böhm findet offenbar keinen Kontakt zur Klingsor Wohnheim GmbH beziehungsweise deren Geschäftsführerin Niurka Keller. Nach einer ersten Begehung des Hauses am 5. Mai 2024 sei der Betreiberin zur Auflage gemacht worden, eine Schädlingsbekämpfung einzuschalten. Nach diversen und zum Teil erfolglosen Kontaktaufnahmeversuchen, so die Stadträtin, sei ein Ordnungswidrigkeitsverfahren angestrengt worden. Dieses sei noch nicht abgeschlossen.

Nach langen 10 Monaten zwischen Ungeziefer konnten die Bewohner des Wohnheims im Frühjahr umziehen, die Unterkunft in Lichterfelde wurde nach einer letzten Begehung durch das Amt am 31. März schließlich geschlossen.

Ab dem 1. April war also nicht mehr die Betreiberin, sondern der Hausbesitzer verantwortlich dafür, das Schabenproblem zu lösen. Offenbar hat aber niemand umgehend mit ihm Kontakt aufgenommen, auch nicht im Mai, als Familie Schuster ihre erste Beschwerdemail schrieb. Und auch nicht, als die Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes einen kurzen Blick auf die Grundstücksgrenzen warf. Auch in einem folgenden Telefonat bekam Karina Schuster zu hören, dass der Eigentümer hier zuständig sei. Der war aber der Behörde bis dahin gar nicht bekannt.

Das änderte sich, als Familie Schuster den Verteilerkreis ihrer Beschwerdemails erweiterte. Neben weiteren Stadträten lasen nun auch Journalisten mit, die natürlich Fragen haben. Die Stadtrand-Nachrichten wollten von Gesundheitsdezernentin Böhm beispielsweise wissen: Wann wurde der Hausbesitzer erstmals zur Schädlingsbekämpfung aufgefordert?

Die Antwort: „Jetzt“ sei der Eigentümer „ermittelt“ worden. In der „29. KW“ sei dieser aufgefordert worden „letztmalig zu den Zuständen Stellung zu beziehen.“

Die 29. Kalenderwoche 2025 ist der Zeitraum vom 14. bis 20. Juli, das war in der vergangenen Woche.

Daniela von Treuenfels

 

 

Quellen und Hintergründe

https://www.focus.de/politik/deutschland/hunderte-von-euro-fuer-aufnahme-gezahlt-im-porsche-zum-obdachlosenheim-wie-eu-migranten-in-berlin-sozialleistungen-erschleichen_id_12442775.html (September 20)

https://www.tagesspiegel.de/berlin/bewohner-von-berliner-obdachlosenheimen-fahren-luxusautos-4195354.html (September 20)

https://klingsor-wohnheim.de/

https://www.morgenpost.de/bezirke/reinickendorf/article408519734/nach-19-jahren-stillstand-hoffnung-fuer-diesen-lost-place.html (März 25)

https://www.morgenpost.de/bezirke/reinickendorf/article406836367/baugeraeusche-im-entenkeller-hoffnung-fuer-die-ehemalige-disko.html (Juli 24)

https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-19096.pdf (Kosten der Unterbringung, Mai 24)

 

Die Stadtrand-Nachrichten finanzieren sich durch freiwillige Zahlungen ihrer Leserinnen und Leser.

Wenn es Ihnen hier gefällt, Sie etwas Spannendes entdeckt oder etwas Neues gelernt haben, können Sie uns via Paypal ein Trinkgeld dalassen.

Herzlichen Dank!

Hier geht es zu unserem Paypal-Konto