Graue Damen, buntes Lichterfelde

Graue Damen, buntes Lichterfelde

Foto: Daniela von Treuenfels

 

Kinder und Eltern demonstrieren – und die AfD filmt wieder mit. Das Smartphone unauffällig vor dem Oberkörper, die Kamera nach vorn gerichtet. Manchmal dreht die Dame mit dem grauen Wintermantel ihr Gerät leicht nach rechts oder links. Ganz offen und offensichtlich filmt die Frau die Teilnehmer der gerade stattfindenden Demonstration. Rund 200 Menschen (Polizeiangaben), mehrheitlich Eltern mit ihren Kindern, sind am Bahnhof Lichterfelde West zusammengekommen, um ein Zeichen zu setzen für eine offene und vielfältige Gesellschaft.  

Normalerweise übernimmt das Fotografieren und Filmen der Chef selbst. Doch der Steglitz-Zehlendorfer AfD-Vize Matthias Pawlik hält sich am Sonntag Nachmittag auffallend zurück. Auf dem Vorplatz des Bahnhofs, wo Reden gehalten werden, wo Kinder und Erwachsene singen und tanzen und wo Kinder das Pflaster mit Straßenkreide bunt anmalen; hier ist Pawlik nicht zu sehen.  

 

Familien feiern das Anderssein: 200 Eltern und Kinder demonstrieren für eine offene Gesellschaft. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Das mag damit zu tun haben, dass die Partei und ihre rechtspopulistischen Netzwerke in den letzten Wochen viel Unmut auf sich gezogen haben. Schüler, Lehrer und Eltern waren schockiert bis wütend darüber, dass eine Demonstration von Schülern in voller Länge im Internet gestreamt wurde, und dass Mitglieder und Anhänger der Partei jede Versammlung gegen Rechtsextremismus in irgendeiner Weise „dokumentieren“. Der Zweck ist jeweils völlig unklar. 

Aus der Entfernung, wird uns berichtet, ärgert sich Matthias Pawlik darüber, dass „gegen die AfD“ demonstriert werde. Das ist nicht richtig und war auch anders angekündigt. Unter der Überschrift „Familiendemo für Vielfalt und Demokratie“ waren Eltern und Kinder eingeladen, ein Zeichen für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität zu setzen.  

Wie geplant, wird die Veranstaltung ein kindgerechtes Gegenmodell zu den sonst eher lauten Protestveranstaltungen gegen Nazis. Niemand hier ruft „Ganz Berlin hasst die AfD“. Stattdessen gibt es Kinderlieder, einfach zu verstehende Reden, einen Beitrag einer Grundschülerin. Alle Erwachsenen geben sich viel Mühe, Demokratie zu erklären und Meinungsfreiheit greifbar zu machen. „Lichterfelde, wir sind bunt, nur gemeinsam geht es rund“, gibt die Organisatorin vor, und alle stimmen fröhlich ein. 

Wer hier durch die Reihen geht, und fotografiert oder filmt, tut nichts Verbotenes. Viele finden das jedoch mindestens moralisch verwerflich, und mit dem Fotografieren von Kindern begibt man sich in eine juristische Grauzone, auch wenn es sich um eine öffentliche Veranstaltung handelt.  Hier zu filmen bedeutet, allen Anstand fahren zu lassen.

 

Einschüchterungsversuch mit der Kamera: Die AfD und ihre Freunde sind bei Demos gegen rechts gerne dabei. Was sie mit den Bildern tun, sagen sie nicht. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Mit dieser Art des Umgangs mit politisch Andersdenkenden möchte wohl selbst die AfD nicht in Verbindung gebracht werden. Die Einschüchterungsversuche via Smartphone übernimmt daher eine unbekannte blonde Frau mit roter Brille. Ihr zur Seite steht eine weitere Dame ohne Kamera, die Beobachter als Marina Heinze erkannt haben wollen, sie gehört ebenfalls dem AfD Bezirksvorstand an. Beide Frauen versuchen sogar, Kinder in eine Unterhaltung zu verwickeln, was aber nicht gelingt. 

Die Polizei wird um Eingreifen gebeten, manche Erwachsene bilden eine Art Sichtschutz. Andere flüchten sich in Sarkasmus und witzeln über die „grauen Damen“, analog zu den Zeitdieben in Michael Endes „Momo“. Welch treffender Vergleich: Die Grauen entstehen deshalb, „weil die Menschen ihnen die Möglichkeit geben zu entstehen“. Und sie sind so leicht zu schlagen: mit Empathie, Zugewandtheit und gutem Zuhören. 

Andere sind weniger entspannt. Die anwesende Grüne Bezirksverordnete Ulrike Kipf beispielsweise erinnert mit Blick auf eine Rede des CDU-Politikers Armin Laschet, wie zerbrechlich die Demokratie ist, wenn niemand sie ernsthaft verteidigt. Kipf begrüßt das Engagement in den Schulen für die Werte der Verfassung außerordentlich. Es sei ein starkes legitimes Zeichen, wenn Schüler mit Unterstützung oder Billigung der Eltern und Pädagogen auf die Straße gingen. „Hier funktioniert Demokratieerziehung“, so die ehemalige Vorsitzende des Bezirkselternausschusses. 

Zeitgleich mit der Demonstration in Lichterfelde findet in Brandenburg der Landesparteitag der AfD statt. Für Aufsehen sorgt unter anderem eine Solidaritätsbekundung mit der als rechtsextrem eingestuften Jugendorganisation Junge Alternative (JA). Zum neuen Vorsitzenden wird der Bundestagsabgeordnete René Springer gewählt. Nach den Correctiv-Recherchen um ein Geheimtreffen zwischen Rechtsextremen, Unternehmern und Politikern schrieb er auf X: „Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen.“ 

 

Daniela von Treuenfels 

 

 

Foto: Daniela von Treuenfels

 

 

 

 

3 Kommentare

  1. Nur zur Information, mein Name ist Matthias Pawlik, nicht Michael. Einen Michael Pawlik gibt es auch, wir sind aber nicht verwandt.
    Und sollten Sie tatsächlich glauben, dass die Bürger so dämlich sind, nicht zu erkennen, dass alles, was Sie tun sich klar gegen die Alternative für Deutschland als Konkurrenzpartei zu ihren bevorzugten Parteien SPD, Grüne und Linke, sowie CDU und FDP richtet, weil Leute wie Sie schlicht Sorge um ihre Posten und Positionen haben, so ist dies eine Beleidigung gegenüber mündigen Bürgern, sonst nichts.
    Viele Grüße M. Pawlik

    • Ist korrigiert.
      Ansonsten sind wir immer interessiert am Austausch von Argumenten. Vielleicht beim nächsten Mal?

  2. Es ist nicht unklar, was die AfD mit unseren Gesichtern tun will. Es ist bekannt, dass sie Listen führen, von allen Menschen, die sie aussortieren wollen.

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