Seit Anfang 2017 finden im ehemaligen Frauengefängnis SOEHT 7 einmal im Monat Musikveranstaltungen unter dem Namen „Spätsünder“ statt. Rainer Mohr, eigentlich Apotheker vom Beruf, hat sie ins Haus geholt und mittlerweile zu einem festen Bestandteil des kulturellen Angebots der Lichterfelder Kulturstätte gemacht. Das Besondere ist, dass er nichts daran verdient. Warum er es trotzdem tut? – Der Genuss sei einfach zu groß.
„Als ich nach dem Studium meinen Job beim damaligen Bundesgesundheitsamt in der Arzneimittelzulassung antrat, dachte ich sofort‚ es ist mein Tod’“, lacht der studierte Pharmazeut. „Das war so eine dröge Arbeit – nur Papierkram, kaum Kontakt zu Menschen.“ Doch der Job hatte auch etwas Gutes: Um einen Ausgleich zum beruflichen Alltag zu finden, habe er angefangen, seine kreative Seite wieder zu entdecken. Bereits als Jugendlicher habe er Gitarre gespielt und diese „Liebe zur Musik“ entdeckte er nun wieder, erzählt der Hobbymusiker. Es folgten kleine Auftritte auf verschiedensten Bühnen, unter anderem bei einem Musical, das im Hangar des Flughafens Tempelhof aufgeführt wurde, und in einem A-cappella-Chor. „Damals habe ich Bühnen-Luft geschnuppert“, erinnert sich Mohr. „Ans Aufhören war nicht mehr zu denken.“ Als der Chor sich trennte, habe er angefangen, sich selbst „seine“ Bühnen zu organisieren. Doch nicht alleine – „Ich habe angefangen, andere Amateure, ob aus Musik, Theater oder Slam, dazu zu holen.“ Das sei der Beginn der „Spätsünder“ gewesen, erzählt er.
„Spätsünder“ seien für ihn diejenigen, die eigentlich etwas Anderes im Leben gemacht haben und ihre kreative Ader, die Bühne, die Musik, erst später für sich entdeckten. Um ihnen allen die Möglichkeit zu geben, ihre kreative Seite vor Publikum zu präsentieren, suchte er immer wieder nach neuen Orten, an denen sie auftreten konnten. „Wir traten in Galerien und Ateliers auf. Einfach überall in Berlin, bis wir dann eine Remise in Kreuzberg mieteten“, erzählt Mohr.
Dort, in der so genannten „Do-Remise“, hatten die „versierten Amateure“, wie Rainer Mohr auch sich selbst bezeichnet, einen festen Veranstaltungsort. Schnell habe sich herumgesprochen, dass in dem Kreuzberger Hinterhof regelmäßig Konzerte stattfinden. Immer mehr Besucher fanden sich ein. So kam es auch, dass sich auf einmal die „Profis“ bei ihm meldeten. „Ich lernte immer mehr Meister wie Nora Buschmann, Stephan Bormann oder Christina Lux kennen, die bei uns auftreten wollten.“ So entstand der zweite „Zweig“ der „Spätsünder“ – die Meisterkonzerte.
Nach Do-Remise in Kreuzberg kam SÖHT 7 in Lichterfelde
Doch dann wurde der Mietvertrag für die „Do-Remise“ gekündigt. Rainer Mohr und seine „Spätsünder“ mussten sich wieder neue Bühnen suchen. So kam das ehemalige Frauengefängnis in Lichterfelde ins Spiel. Von einer Bekannten habe er erfahren, dass es hier diesen besonderen Ort gibt, in dem man ein breites kulturelles Angebot etablieren möchte. Er nahm Kontakt zu Jochen Hahn, dem künstlerischen Leiter der Kulturstätte auf, und die Spätsünder bekamen ein neues Zuhause.
Seit über einem Jahr lädt Rainer Mohr nun regelmäßig alle Musikliebhaber aus dem Bezirk und von außerhalb zu Gitarrenklängen in den Frauenknast ein. Das Besondere daran ist, dass er es ehrenamtlich tut. „Ich verdiene nichts daran“, sagt der Veranstalter. „Mein Lohn ist der Genuss, talentierte Menschen zu treffen.“ Es sei sehr inspirierend, unter Künstlern zu sein. Außerdem liege ihm das Organisatorische. „Bei unseren Konzerten spielt die Atmosphäre eine besondere Rolle“, erklärt er. Liebevoll aufgestellte Kerzen, persönliche Begrüßung der Gäste, eine charmante Ankündigung dessen, was die Besucher gleich erwartet – All das gehöre für ihn zu einem perfekten Musikerlebnis dazu.
Das Geld, das er durch die Eintrittspreise annimmt, geht zu 70 Prozent an die Künstler. Mit dem Rest versucht er, die anfallenden Kosten zu decken, was nicht immer gelingt. Sein fester Unterstützer ist sein Arbeitgeber, Deutscher Apotheker Verlag, bei dem Mohr seit 2006 tätig ist. „Durch diese Unterstützung kann ich zumindest die Miete im SOEHT 7 bezahlen“, sagt er. Ans Aufgeben denkt er aber trotzdem nicht: „Es wäre schön, wenn wir für unsere Reihe Sponsoren finden würden, die Kultur hier im Kiez fördern wollen“, so Mohr. Denkbar wäre auch, einen Spätsünder-Verein zu gründen, um „das Ganze“ auf etwas festere Beine zu stellen. Bis es aber soweit ist, macht er einfach weiter und holt immer wieder neue Musiker – Meister und Amateure – nach Lichterfelde, um auch andere Menschen an dem „Genuss, talentierte Künstler zu erleben“ teilhaben zu lassen.
Das nächste Spätsünder-Meisterkonzert findet am Samstag, den 5. Mai, um 20 Uhr statt. Geboten werden Gitarre und Gesang von Felix Herrmann und Richard Fuhrmann aus Dresden. Der Eintritt kostet 15 Euro im Vorverkauf (zu reservieren unter www.spätsünder.com) und 18 Euro an der Abendkasse. Wer über weitere Konzerte der Reihe informiert werden möchte, kann sich einfach für den Spätsünder-Newsletter unter www.spätsünder.com/newsletter.html anmelden.
(eb)