Die signierte Spundwand. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Die BVG feierte die Verlängerung der U-Bahnlinie 3 vom Bahnhof Krumme Lanke bis zur S-Bahnstation Mexikoplatz. Dabei gibt es bisher weder Baurecht noch eine Finanzierung. Eine Irritation in chronologischer Reihenfolge.

„BVG startet die U 3-Verlängerung“ heißt es in der Einladung zum Pressetermin. Spatenstich mit dem Regierenden, der Verkehrs- und der Wirtschaftssenatorin. „Die BVG bringt zusammen, was zusammengehört: Nach fast einem Jahrhundert wird die 800 Meter große Lücke zwischen dem S-Bahnhof Mexikoplatz und dem U-Bahnhof Krumme Lanke durch eine unterirdische Direktverbindung geschlossen.“

Klingt gut! 800 Meter U-Bahn, Potzblitz. Lückenschluss. Diese Party darf man wohl nicht verpassen. Die Stadtrand-Nachrichten steigen also an einem sonnigen Montag auf’s Rad und erreichen über Fahrradwege höchst unterschiedlicher Qualität den Ort des Geschehens am U-Bahnhof Krumme Lanke.

An der Argentinischen Allee steht jedoch zunächst ein gutes Dutzend Menschen, die das Bauprojekt gar nicht gut finden. Die Initiative „Rettet den Mexikoplatz“ hält das Vorhaben für viel zu teuer, ein Gutachten eines eigens beauftragten Verkehrsplanungsbüros hält die bisherige Nutzen-Kosten-Analyse der BVG für „schöngerechnet“. Die Rede ist von fehlerhafter Abgrenzung, unplausiblen Kostenschätzungen und der Nutzen sei insgesamt zu gering. Daher sei keine Förderung durch den Bund zu erwarten.

 

Thomas Herr (r) und Antje Limper-Huber von der Bürgerinitiative Rettet den Mexikoplatz wollen die Verlängerung der U3 verhindern. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Die BVG weist das scharf zurück. „Dem Gutachter liegen weder die Pläne noch die validen Kostenschätzungen der einzelnen Planungsschritte vor. Auf Grundlage eines zweifelhaften „reverse-engineerings“ werden Hypothesen und Vorwürfe formuliert“, teilt das Unternehmen mit. Die theoretischen Werte einer Kosten-Nutzen-Analyse seien zudem nicht als Planungsbudget zu verstehen. Konkrete Kosten könnten erst nach Vorlage der Entwurfsplanung ermittelt werden.

Thomas Herr von der Bürgerinitiative ficht das nicht an. „Sobald er vorliegt, werden wir gegen den Planfeststellungsbeschluss Klage einreichen“, sagt der Anwohner. Er persönlich nutze den öffentlichen Nahverkehr viel und gerne, aber dieses Vorhaben sei reine Geldverschwendung.

Ein Planfeststellungsbeschluss ist das Genehmigungsverfahren für größere Infrastrukturvorhaben wie Schienenwege, Flughäfen oder Straßenbau. In dem oftmals mehrere Jahre dauernden Prozess geht es darum, die öffentlichen und privaten Interessen gegeneinander abzuwägen und auszugleichen. Eine Klage gegen den Beschluss kann ein Bauprojekt um einige Jahre zurückwerfen. Die Bürgerinitiative spricht von 800 Einwendungen, die bereits gegen die Verlängerung der U3 erhoben worden seien.

Seltsam. Gleich soll es den Startschuss für einen U-Bahnbau geben, für den es noch gar keine Genehmigung gibt? Und noch eine Frage nehmen wir mit in die festlich geschmückte Baugrube: Als seinerzeit die ersten Pläne vorgestellt wurden, wehrten sich die Leute am Mexikoplatz gegen die Bahnhofsanlage direkt an der denkmalgeschützten Gartenanlage. Die Strecke wurde daraufhin verlängert und der Bahnhof verlagert in den Bereich südlich der S-Bahnlinie. Die Folge sind Mehrkosten. Am Montag spricht Thomas Herr nicht über den schönen Mexikoplatz, sondern nur über die Kosten. Alles viel zu teuer.

Auf dem weiteren Weg zum feierlichen Startschuss eines ungenehmigten Bauvorhabens kommen wir an einem weiteren Grüppchen mit Flyern, Plakaten und Megafon vorbei. Der Kreisvorsitzende Karl-Heinz Hage trägt hier die Vorstellungen der Südwest-Grünen vor: Die U3 soll nicht am Mexikoplatz enden, daher müssten mit dem kommenden Bauabschnitt Vorkehrungen getroffen werden für eine Weiterführung zunächst bis zu einem neuen Bahnhof Potsdamer Chaussee/Lindenthaler Allee mit dann einer Verbindung zur Stammbahn, die nach bisherigen Planungen ab 2040 wieder in Betrieb gehen soll. Perspektivisch, so Hage, könne man auch eine Verlängerung bis Stahnsdorf mitdenken.

 

Die Südwest-Grünen wollen eine Verlängerung XXL, am liebsten bis raus nach Stahnsdorf. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Das klingt doch eigentlich ganz vernünftig? Irritiert fragen wir uns, ob wirklich zum Arzt gehen soll, wer Visionen hat. Und tatsächlich gibt es an diesem Tag weitere Stimmen, die ähnliche Ideen haben.

Noch immer haben wir den abgesperrten Bereich des Spatenstich-Events nicht erreicht, da treffen wir auf Antje Kapek. Die 49jährige Politikerin ist verkehrspolitische Sprecherin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und möglicherweise eine Adresse für verwunderte Lokaljournalistinnen. Wie sie es denn finde, einem Spatenstich beizuwohnen für ein Projekt, für das grundlegende Voraussetzungen fehlen? Und wenn hier kein echter Startschuss fällt, was könnte der Zweck dieser Veranstaltung sein?

Genau Null Euro, bricht es aus der Verkehrsexpertin heraus, seien für die Verlängerung der U3 bislang im Haushalt eingestellt. Also könne hier auch genau nichts losgehen. Im Herbst 2026 fänden die nächsten Wahlen zum Abgeordnetenhaus statt, da wolle man offenbar ein paar Erfolge feiern, auch wenn es Luftschlösser seien. Steile These – oder?

Mit zunehmender Verwunderung und angekommen im abgesperrten Gästebereich steuern wir auf einen zu, der Ahnung haben könnte. Warum hier eine Feier stattfindet für ein Projekt, für das es noch gar kein Geld gibt, fragen wir Matthias Kollatz, den ehemaligen Finanzsenator. Der derzeitige Abgeordnete für die SPD mit Wahlkreis in Steglitz-Zehlendorf windet sich. So dürfe man das nicht sehen, außerdem sei man doch schon viel zu spät, jetzt müsse es endlich losgehen, und wenn kein Geld vom Bund kommt, müsse das Land Berlin die Kosten notfalls alleine tragen.

Interessant, da preist einer schon eine Niederlage ein. Diese Kosten-Nutzen-Analyse, siehe oben, kriegt ein rotes Pünktchen auf unseren verstaubten Aktendeckel. Zur Wiedervorlage.

 

vlnr: Henrik Falk, Franziska Giffey, Kai Wegner, Ute Bonde, Tim Richter | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Das Hauptprogramm beginnt. Keine Polit-Sause ohne Festrede, hier geben gleich mehrere Spitzenleute ihre Freude über den heutigen Anlass kund. Zunächst begrüßt BVG-Chef Henrik Falk die Gäste – und er gibt sachlich präzise wieder, worum es heute geht: Am U-Bahnhof Krumme Lanke hat die BVG mit der Sanierung einer Abstellanlage aus dem Jahr 1929 begonnen. Sie besteht aus einem denkmalgeschützten oberirdischen Teil nördlich des Bahnhofs, der größte Teil liegt jedoch unter der Erde und befindet sich weitgehend südlich des Bahnhofs unter der Argentinischen Allee. Die unterirdische Anlage soll durch einen Neubau ersetzt werden und auch gleich für die Weiterführung der U3 hergerichtet werden. Diese Herstellung einer Möglichkeit – deren Realisierung offen ist, siehe oben – ist für Falk der Beginn der Streckenerweiterung.

 

Der oberirdische Teil der Abstellanlage der BVG für ihre Züge im Norden des Bahnhofs Krumme Lanke. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

In den Statements der Politiker kommt die Abstellanlage nur am Rande oder gar nicht vor. Sie beziehen sich fast ausschließlich auf das Anschlussprojekt, das weder genehmigt noch finanziert ist. Interessant sind die Nuancen: Während Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) von einem Endpunkt Mexikoplatz als „Kompromiss“ zwischen Nichtbauen und weiteren Verlängerungen spricht, hat Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) schon weitergehende Pläne „über den Mexikoplatz hinaus“. Das Erreichen der Stammbahn erscheint ihr als ein sinnvolles Ziel.

Es folgt der symbolische Spatenstich, heute in Form einer Spundwand, die zunächst signiert und dann in den Boden gerammt wird. Das Stahlprofil ist Teil einer „Wanne“, die verhindern soll, dass Grundwasser in den Tunnel eindringt.

Viel Pomp für ein Luftschloss. Wird hier die Öffentlichkeit hinters Licht geführt? Das fragen wir den Bezirksstadtrat Tim Richter (CDU) und den Abgeordneten und CDU-Kreisvorsitzenden Stephan Standfuß. Neinneinnein, auf keinen Fall, sagt Tim Richter, und er scheint froh zu sein, gleich in einen Ausschuss der BVV zu müssen. Sein Parteikollege ist wesentlich entspannter. Zum einen weiß sich Standfuß als Teil einer großen Mehrheit. Außer den Anwohnern gibt nur wenige, die sich gegen eine Verlängerung der U3 stellen, wie beispielsweise der BUND, der für das Geld lieber Straßenbahnen und Radwege bauen würde . Zum anderen sind erstmal andere am Zug. Geld stelle das Abgeordnetenhaus dann bereit, wenn es gebraucht werde, also wenn es eine Genehmigung und valide Kostenschätzungen gebe, sagt Stephan Standfuß. Heißt also: Popcorn für die Abgeordneten. Solange sich Planer mit den Anwohnern herumstreiten und Gerichte mit Klagen beschäftigt sind, passiert erstmal nichts.

Einer, der die Diskussionen vor Ort bestreiten wird, ist der Grüne Bezirksverordnete Bernd Steinhoff. Während rings herum schon Tische abgebaut werden und der Caterer sein letztes Chili anpreist, erinnert der Verkehrsexperte daran, dass es eine Zeit gab, in der die Westberliner U-Bahn bewusst nicht an die DDR-eigene S-Bahn herangeführt wurde. Diese ideologische Barriere sei Geschichte und müsse endlich überwunden werden. Um das Gesamtnetz resilienter gegenüber Störungen und Sperrungen zu machen, sei es wichtig, die Knoten zu stärken und auszubauen.

Steinhoff erhofft sich schon mit dem ersten Teilstück der neuen U3 eine Reduzierung des Pendlerverkehrs. Die Verlagerung des U-Bahnhofs auf die Südseite des S-Bahnhofs könnte außerdem neben den erwarteten 12.000 Umsteigefahrgästen auch weitere Nutzer bringen. Nehmen wir doch mal an, überlegt Steinhoff, der südliche Ausgang wäre etwa in Höhe der Niklasstraße. Dann wäre die U-Bahn vielleicht sogar für die Leute in Düppel fußläufig erreichbar. „Man müsste das mal prüfen“.

 

 

Haben wir. Beim Weiterdenken am Schreibtisch ziehen wir einen Radius von 500 Metern um die Adresse Lindenthaler Allee 21 (Ecke Niklasstraße). Es zeigt sich, dass der nördliche Teil der Siedlung Düppel-Süd innerhalb des Kreises liegt. Damit wäre für einen Teil der Menschen in der Siedlung, die seinerzeit für Angehörige der US-Streitkräfte gebaut wurde, eine U-Bahn bequem erreichbar. Für das Quartier mit seinen meist dreigeschossigen Wohnbauten gibt es Nachverdichtungspläne. Zu den derzeit rund 620 Wohnungen sollen durch Aufstockungen sowie Neu- und Anbauten weitere 250 Wohneinheiten dazu kommen.

Es gäbe also einige hundert potentielle Nutzer mehr, das wäre ein weiterer dicker Punkt auf der Haben-Seite. Dass bei weiterem Nachdenken noch mehr kluge Gedanken für und wider das Projekt U3-Verlängerung auf den Tisch kommen, ist gut möglich. Es wird in jedem Fall spannend bleiben.

Daniela von Treuenfels

 

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