Zwei Hausangestellte, zwei Persönlichkeiten, zwei Entstehungsjahre: Woman sewing Kaross (1929), Maid in Uniform (1955), Courtesy of the Trustees of the Irma Stern Collection, Cape Town | Foto: Nick Ash

Jeder Mensch eine Persönlichkeit, die uns in ihren Bann zieht. Das ist der bleibende Eindruck, den ein Rundgang durch die Ausstellung der deutsch-jüdisch-südafrikanischen Expressionistin Irma Stern im Brücke-Museum hinterlässt.

Es ist nach 1996 in Bielefeld die zweite Einzelausstellung auf deutschem Boden, die dieser bedeutenden Künstlerin gilt, und die erste in ihrer langjährigen Heimatstadt Berlin. Dass Irma Stern in Deutschland kaum bekannt ist, hängt mit der Vielschichtigkeit ihrer Identität und der Schwierigkeit zusammen, ihr Leben zwischen zwei Welten aus heutiger Sicht angemessen einzuordnen.

Irma Stern wird 1894 als Kind deutsch-jüdischer Auswanderer in Schweizer-Reneke, einer Stadt  in der südafrikanischen Provinz  Nordwest, geboren. Schul- und Ausbildungsjahre verbringt sie mit kurzer Unterbrechung in Deutschland, wo sie ab 1912 in Weimar und anschließend in Berlin studiert. Um 1917 lernt sie den „Brücke“-Maler Max Pechstein kennen, der ihr ein enger künstlerischer Freund wird und 1919 ihrer ersten großen Berliner Einzelausstellung den Weg bereitet. 1920 zieht Irma Stern mit ihren Eltern zurück nach Kapstadt. In den folgenden Jahren pendelt sie zwischen Afrika und Europa, wird als Mitbegründerin in die avantgardistische Künstlervereinigung „Novembergruppe“ eingeladen, hat mit ihren Ausstellungen zunehmend Erfolg. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 kehrt sie Deutschland den Rücken, weigert sich, weiter Deutsch zu sprechen, und meidet bis zu ihrem Tod das Land, das sie künstlerisch geprägt hat.

In den rund fünfzehn Jahren ihrer aktiven Präsenz in Deutschland hat sich Stern bewusst als Kennerin und Vermittlerin Afrikas etabliert, die den Kontinent und seine Menschen nicht nur von Reisen, sondern aus eigenem Erleben kennt. Dass sie als Angehörige der dortigen herrschenden Schicht mit dem „kolonialen Blick“ auf Südafrika und seine Bewohner aufgewachsen ist, wird ihr selbst erst allmählich deutlich. Sichtbar ist aber seit ihren frühen Werken, dass die von ihr Porträtierten unabhängig von ihrer Herkunft immer als Menschen mit einem klaren Bewusstsein ihrer selbst und ihrer Würde dargestellt werden. Das gilt für das einfache Hausmädchen (Woman sewing Kaross, 1929), das, entsprechend den Gepflogenheiten der damaligen Gesellschaft, dem Betrachtenden allerdings nicht in die Augen blickt, sondern sich in seine traditionelle Handarbeit vertieft. Es gilt umso mehr für das 1955, zu Zeiten der Apartheid, entstandene Pendant dieses Bildes, die Maid in Uniform: Makellos und perfekt in ihrer weißen Schürze blickt sie spöttisch an uns vorbei.

Porträt der Kapstädter Schulleiterin Roza van Gelderen, einer Freundin Irma Sterns (1930er Jahre) | Foto: Courtesy of the Trustees of the Irma Stern Collection, Cape Town

In Südafrika, wo Stern als in Deutschland ausgebildete, „moderne“ Künstlerin mit einem ganz anderen Image Fuß zu fassen sucht, stößt ihre erste Ausstellung 1922 auf harsche Kritik der bornierten Elite. Der Kreis von jüdischer Diaspora und linksliberalen Intellektuellen, in dem sich Irma Stern in Kapstadt bewegt – einige dort entstandene Porträts sind im Brücke-Museum zu sehen – ist klein, eine „Blase in der Blase“. Die Künstlerin bricht auf ihre eigene Art aus dieser Enge aus, indem sie mit 39 Jahren ihren Führerschein macht und lange Reisen quer durch den afrikanischen Kontinent unternimmt, Landschaften und Menschen malt: „wie eine Forscherin“ sieht sie sich. In diesen Jahren entsteht eine Skizze von Rosalie Gicanda, der Ehefrau des ruandischen Königs Mutara III. Rudahigwa. Den Entwurf arbeitet Stern später als Portrait aus, dem sie den Titel Watussi Queen gibt. Beide Arbeiten sind in der Ausstellung zu sehen; Rosalie Gicanda fiel 1994 dem Völkermord der Hutu an den Tutsi zum Opfer.

Nach dem Erlass der Apartheid-Gesetze 1948 gewinnt der wirtschaftlich erstarkende südafrikanische Staat zunehmend Interesse daran, die Künstlerin als Aushängeschild seiner eigenen Modernität für sich zu reklamieren. Das Gefühl, stets in irgendeiner Facette ihrer Person und Biografie angreifbar zu sein, mag erklären, dass sich die Malerin mit dieser Rolle arrangiert; sie repräsentiert Südafrika im Ausland, unter anderem mehrfach auf der Biennale in Venedig. Gleichzeitig stellt sie 1956 eines ihrer Werke einem Fonds zur Verfügung, aus dem die Verteidigung Nelson Mandelas und anderer in einem Hochverratsprozess finanziert wird. 1966 stirbt Irma Stern, bis heute eine der bekanntesten Künstlerinnen Südafrikas, in Kapstadt. Ihr von einer Stiftung verwaltetes ehemaliges Wohnhaus ist heute ein Museum.

Bereichernd sind die unterschiedlichen Stimmen, die in der Berliner Ausstellung das Werk Sterns in ihren Texten interpretieren. Der 1984 geborene südafrikanische Künstler Athi-Patra Ruga, der Stern als Vermittlerin zwischen den Welten verehrt, weitet unseren Blick mit seinen eigenen ausgestellten Werken, kommentiert und ironisiert.

Ein Rundgang, der vom Beginn bis zum Ende eine Entdeckung ist.

 

Irma Stern. Eine Künstlerin der Moderne zwischen Berlin und Kapstadt

Brücke-Museum,Bussardsteig 9, 14195 Berlin

bis zum 2. November 2025

https://www.bruecke-museum.de/de/programm/ausstellungen/3817/irma-stern-eine-kunstlerin-der-moderne-zwischen-berlin-und-kapstadt

 

Benita Schauer

Die Autorin publiziert in unterschiedlichen Funktionen zu Themen vor allem aus dem Kulturbereich, unter anderem auf ihrem Blog www.benitaschauer.de, hat viele Jahre im außereuropäischen Ausland verbracht und lebt jetzt in Berlin.

 

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