
Kältehilfe Notübernachtung Bergstraße 4 in Wannsee. | Foto: Daniela von Treuenfels
Arbeitsverweigerung, Verwaltungsversagen, Bankrotterklärung – eine Mehrheit der Bezirksverordneten wirft Stadtrat Tim Richter (CDU) Untätigkeit vor. Das Haus der Kältehilfe Notübernachtung in Wannsee werde dem Verfall preisgegeben, im nächsten Winter drohe Steglitz-Zehlendorf ohne ein Angebot für Bedürftige dazustehen.
Es war eine ruppige Diskussion in der Februar-Sitzung der BVV, und der härteste Schlag gegen Sozialstadtrat Tim Richter kam ganz sanft von oben. Sie wolle den Kollegen wirklich nicht kritisieren, flötete Bezirksbürgermeisterin Maren Schellenberg vom Rednerpult aus in Richtung des Dezernenten. Aber. Das Bezirksamt werde die nötigen Mittel beim Senat einfordern, „wenn entsprechende Ideen vorliegen“.
Schellenberg setzte sich damit über ein ungeschriebenes Gesetz im deutschen Parlamentarismus hinweg, das heißt: Regierungsmitglieder greifen sich vor den versammelten Volksvertretern nicht gegenseitig an. Schellenberg entschied sich jedoch für die Botschaft „schuld ist allein der verantwortliche Stadtrat Richter“, und das hat etwas mit der Besonderheit der Berliner Bezirke zu tun. Die Anzahl der Dezernenten pro Partei ergibt sich aus dem Anteil der Wählerstimmen, in Steglitz-Zehlendorf gehören drei der CDU an, zwei den Grünen und eine Stadträtin der SPD.
In der BVV gibt es eine „Zählgemeinschaft“ aus Grünen, SPD und FDP, das Dreierbündnis hat eine Mehrheit und stellt gemeinsame Anträge. Im Bezirksamt dagegen gibt es ein Patt: drei CDU-Stadträte stehen drei Dezernenten gegenüber, die den Zählgemeinschaftsparteien angehören. Die Bezirksbürgermeisterin ist den anderen gleichberechtigt, so etwas wie eine Richtlinienkompetenz gibt es nicht. Ist sie der Ansicht, ein Bezirksamtsmitglied zeige nicht genug Engagement, müssen andere Druck machen beziehungsweise das Parlament seine Kontrollfunktion wahrnehmen.
Große Anfragen sind das Mittel der Wahl, wenn ein Thema eine Bühne braucht. Zum Beispiel: das bezirkseigene Haus in der Bergstraße 4 in Wannsee, das von der Berliner Kältehilfe seit 2019 provisorisch als Notübernachtung genutzt wird.
Trotz seiner Stadtrandlage ist die Einrichtung mit durchschnittlich 95 Prozent sehr gut ausgelastet. Schon rein äußerlich ist das Gebäude in einem erkennbar desolaten Zustand. Die Fassade bröckelt, die Fenster werden notdürftig im Rahmen gehalten, in den Balkonen wachsen Bäume. Offensichtlich werden hier seit langem keine Instandsetzungsarbeiten mehr durchgeführt. Wie es innen aussieht, lässt sich nur erahnen. Die Kältehilfe reagierte nicht auf Anfragen der Stadtrand-Nachrichten.

Die Fassade bröckelt, ein wahrscheinlich kaputtes Regenrohr verursacht Feuchteschäden. Auf dem Balkon wächst ein Baum. | Foto: Daniela von Treuenfels
Zuständig für den Betrieb des Hauses ist die Sozialverwaltung des Bezirkes beziehungsweise deren Chef Tim Richter. „Das oberste Gebot für ein sachgerechtes Angebot der Kältehilfe ist eine menschenwürdige und sichere Unterkunft, die auch einen Mindeststandard für das Leben und die Gesundheit der Besucherinnen und Besucher bereithält“, erklärte Richter den Bezirksverordneten. Das Gebäude erfülle diese Standards nicht, geplant sei ein Abriss und Neubau.
Die Kältehilfe solle im Bezirk dauerhaft gesichert werden, hierzu gebe es Gespräche zu möglichen Standorten. Bisher, so Richter, scheiterten die Bemühungen an fehlenden geeigneten Objekten. Zudem stehe er „auch im Austausch mit verschiedenen Institutionen, Trägern und Eigentümern, um mögliche Ausweichstandorte in Kooperation mit den Dritten zu finden, nachdem Angebote in bezirklichen Liegenschaften aufgrund der baulichen Zustände und anderen Nutzungen wohl nicht mehr realisierbar sind.“
Einer Mehrheit der Bezirksverordneten geht das alles viel zu langsam. Die Obdachlosigkeit habe sich zu einem Dauerthema entwickelt, sagt Dennis Egginger-Gonzales von den Linken. Mit seiner 16 Fragen umfassenden Großen Anfrage will er die Debatte noch einmal anheizen – und legt vor: „Die CDU“ sei untätig, mit dem zuständigen Stadtrat und seinen Vorgängern (beide CDU) liege ein „Traditionsversagen“ vor. Warum er angesichts der bevorstehenden Schließung und einer fehlenden Alternative nicht Alarm geschlagen habe, will er von Tim Richter wissen. Ein Unterausschuss der BVV, fordern die Linken in einem Antrag, soll für Transparenz und Kontrolle sorgen.
Auch Daniel Eliasson beklagt einen fehlenden Nachfolge-Plan: „So geht das nicht, das ist ungenügend“, sagt der Grüne in Richtung des Stadtrates. Der CDU gehe es „nicht um Hilfe, sondern um Verdrängung“. Und: „Aus den Augen aus dem Sinn ist kein politisches Konzept, sondern eine Bankrotterklärung“.

Unrettbar kaputt: Fenster. | Foto: Daniela von Treuenfels
Auch Norbert Buchta von der SPD sieht ein „Versagen der CDU-geführten Verwaltung“. Er könne sich nicht vorstellen, dass im Bezirk keine einzige geeignete Immobilie zu finden sei. Dass das Haus in der Bergstraße in einem schlechten Zustand ist, sei lange bekannt. Nun müssten vielleicht auch kreative Lösungen wie eine Traglufthalle oder Container in Betracht gezogen werden.
Gregor Habbel von der FDP erinnert daran, dass die BVV bereits beschlossen hat, die Aufstellung eines großen Wohncontainers unter der Autobahnbrücke in der Düppelstraße als Wärmestube für Obdachlose prüfen zu lassen. „Aber von der CDU kommt dazu nichts.“
Die Christdemokraten bleiben in der Debatte insgesamt zurückhaltend. Ralf Fröhlich verweist auf die allgemeine Wohnungsknappheit und sieht die (alte) Bundesregierung mit ihrer Bauministerin von der SPD in der Verantwortung. Der Fraktionsvorsitzende Torsten Hippe beweist, dass auch er flöten kann: Was es denn kosten würde, die Bergstraße weiterzubetreiben, fragt er, und es klingt tatsächlich wie echtes Interesse. Doch es ist ein durchschaubarer Versuch, den Ball der Bürgermeisterin zurückzuspielen. Maren Schellenberg hat im Bezirksamt den Hut auf für das „Facility Management“, ist also zuständig für die bezirksamtseigenen Gebäude, auch das in der Bergstraße.
Geholfen ist mit gegenseitigen Schuldzuweisungen niemandem. Tim Richter verspricht derweil in einem Telefonat mit den Stadtrand-Nachrichten, im nächsten Winter ganz bestimmt Übernachtungsplätze für die Kältehilfe im Bezirk zur Verfügung zu stellen. Wegen laufender Verhandlungen könne er derzeit nichts Konkretes sagen. Man darf gespannt sein.
Daniela von Treuenfels
Weiterführende Informationen
Ideen der Parteien zum Umgang mit Obdachlosen im Vergleich:
https://www.gazette-berlin.de/artikel/3097-obdachlose-in-der-schlossstrasse.html
Obdachbus des DRK Steglitz-Zehlendorf
https://www.drk-sz.de/angebote/mobil-im-bezirk/mobil-im-bezirk/obdachbus.html
Hilfe bei drohender Wohnungslosigkeit
https://service.berlin.de/dienstleistung/324485/standort/329926/
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