Riesengedärm unter dem Asphalt: Fernwärmeleitungen. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Am „Hillmann-Eck“ entsteht ein Wohn- und Geschäftshaus. Das „Geisterhaus“ wird jetzt von einem Gutachter inspiziert. Der Bau der Fernwärmeleitung dauert. Das Spucki bleibt zu. Die Umbenennung: kommt – irgendwann.

Das Wohnhaus

Stell dir vor, es entsteht ein stadtbildprägendes Gebäude in deinem Kiez, und keiner schaut so richtig hin. Dass die Abrissarbeiten an der Kreuzung Hindenburgdamm / Augustastraße mit gelassenem Desinteresse unter der Anwohnerschaft beobachtet werden, ist sicherlich der seit Jahren bestehenden Großbaustelle im Zuge der Erneuerung der Wasser- und Fernwärmeleitungen geschuldet. Auf einen Bagger, einen LKW oder einen Presslufthammer mehr oder weniger kommt es da nicht mehr an.

Vor einigen Monaten begann der Abbruch der ehemaligen Bäckerei Hillmann, derzeit wird die Baugrube für ein Wohn- und Geschäftshaus ausgehoben. Bauherrin ist die Victoria Wohnungsbau GmbH aus Zossen, die sich auf Anfrage äußerst zurückhaltend gibt: Man befinde sich noch in der Planungsphase. „Mehr Information kann ich Ihnen im Moment nicht übermitteln“, schreibt uns Büroleiter Dariusz Hadas.

Nun ist „Planung“ in der Sprache der am Bau Tätigen ein weiter Begriff. Es gibt eine Ideenskizze und eine Entwurfsplanung in der frühen Projektphase. Wenn ein Bauantrag gestellt wird, ist bereits viel Grundlegendes geklärt: Zahl der Untergeschosse und oberen Stockwerke, Höhe des Gebäudes und das Volumen des Baukörpers. In der Ausführungsplanung werden dann Details zu Grundrissen, Fenstern, Türen und Innenausstattung festgelegt.

Wo steht das Projekt aktuell? Stadtrat Patrick Steinhoff weiß mehr – und auch wieder nicht: „Für einen möglichen Neubau liegt noch kein Bauantrag vor“, so der Dezernent für Stadtentwicklung. Der Abriss habe ohne Genehmigung erfolgen können, weil es sich um einen Gewerbebau handelt. Das im Hinterhof bestehende Wohnhaus könne und solle nicht abgerissen werden. „Wir sind selber sehr gespannt, was hier beantragt werden soll“, so Steinhoff.

 

Das „Hillmann-Eck“ ohne Bäckerei. Hier soll ein Wohnhaus entstehen. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Für Bauherren ist dieses Vorgehen nicht ohne Risiko. Wegen der mitunter schwer zu kalkulierenden Dauer der Genehmigungsverfahren entsteht zwischen Bauvorbereitung und Baubeginn eine Lücke. In diesem Fall schätzungsweise mehrere Monate. Ist der eingereichte Bauantrag aus welchen Gründen auch immer nicht genehmigungsfähig, kann es auch viel länger dauern. Das können sich Unternehmen leisten, die mehrere Bauvorhaben gleichzeitig am Start haben und ihre Baufirmen flexibel einsetzen können. Die Victoria Wohnungsbaugesellschaft kann das.

Laut der Unternehmensdatenbank Northdata ist die Victoria Wohnungsbaugesellschaft eine von mehreren Töchtern der Victoria Dom Holding mit Sitz in Warschau und der Victoria House SA in Luxemburg. Alle Firmen haben ihr Geschäftsfeld im Immobiliensektor: Bauträger, Entwicklung oder Projektmanagement. Auf der Firmenwebseite ist die Rede von mehr als 6.400 fertiggestellten Wohnungen in 23jähriger Unternehmenstätigkeit. Derzeit befänden sich über 10.000 Wohnungen im Bau.

Welches der Tochterunternehmen welches Bauvorhaben realisiert beziehungsweise fertiggestellt hat, bleibt unklar. Die GmbHs sind größtenteils durchnummeriert und heißen beispielsweise „Victoria Wohnungsbau XII GmbH“ – diese Gesellschaft wurde 2022 gegründet und hat wie alle Victoria-Firmen ihren Sitz in der Zossener Marktstraße. Einzige Gesellschafterin ist die Victoria House in Luxemburg. Deren Vorstandsvorsitzender ist laut Northdata Michal Jasinski, dem auch die Victoria Dom Holding in Warschau gehört.

 

Baustellenschild am „Hillmann-Eck“. Obwohl es vorgeschrieben ist, ist der Rote Punkt seit einiger Zeit an der Baustelle nicht mehr zu finden. | Foto: Redaktion

 

Die Victoria House verzeichnet seit 2020 steigende Umsätze, im Jahr 2023 etwa 140 Millionen Euro. Ein Gewinn von rund 3 Millionen Euro wird für das Jahr 2019 ausgewiesen (Umsatz 30 Mio), seitdem gab es praktisch keine Überschüsse mehr.  Wer wenig verdient, zahlt wenig Steuern – in Luxemburg mussten 2023 rund 10.000 Euro abgeführt werden.

Steuervermeidung ist nicht verboten, auch in diesem Ausmaß ist die Praxis der Gewinnverschiebung in Niedrigsteuerländer legal. Vielleicht ist das nebensächlich, wenn bei den Geschäften der Immobilienbranche wenigstens etwas Brauchbares herauskommt. Die Fotos und Visualisierungen auf der Internetseite der Victoria machen alle einen sehr einladenden Eindruck. Sie zeigen insgesamt neun Projekte in Berlin. Die Baukörper fügen sich harmonisch in die urbane Struktur ein. Holzböden und bodentiefe Fenster finden sich praktisch überall. Die einen punkten mit zahlreichen Fahrradabstellplätzen, andere mit gemeinschaftlichen Dachterrassen.

Die Zusammenarbeit mit renommierten Architekturbüros sorgt für durchdachte Konzepte und eine gewisse Qualität in der Ausführung. Hochwertig, aber schnörkellos und schlicht, diese Linie scheinen alle Bauvorhaben gemeinsam zu haben. Beispielsweise das Vorhaben „Ease Berlin“ in Lichtenberg verspricht eine nüchtern-sachliche Architektursprache mit unaufgeregten Details und Dachterrasse. Die unprätentiösen Grundrisse ähneln denen der anderen Projekte: offene Wohnküchen und geräumige Schlafzimmer. Winzige Kinderzimmer sucht man hier genauso vergebens wie Ankleideräume oder Masterbäder. Gesamteindruck: nicht billig, aber kein Luxus. Preise werden nicht genannt.

Vermutlich wird wie „Ease Berlin“ auch das Wohnhaus am Hindenburgdamm aus dem Büro des im Herbst 2023 verstorbenen Künstlers und Architekten Zvi Hecker geplant. Das legt zumindest die Tatsache nahe, dass das Büro die Abbruchplanung für das „Hillmann-Eck“ verantwortet. Außerdem hat das Büro Hecker bereits mehrere Projekte für die Victoria Wohnungsbau in Berlin geplant. Zvi Heckers Entwurf für die Heinz-Galinski-Schule in Berlin erhielt 1995 den Deutschen Kritikerpreis für Architektur. Im Gegensatz zu Heckers teils spektakulären Gebäuden, die im Sinne der Dekonstruktion eher Skulpturen als Häuser sind, kommt das Wohngebäude in Lichterfelde eher bieder daher. Die historisierende Fassade lehnt sich architektursprachlich an das Eckhaus gegenüber an, die Straßenecke wird städtebaulich wieder geschlossen. Ob das so bleibt, werden die weiteren Planungen zeigen.

Die Fernwärmeleitung

Vattenfall beziehungsweise Berliner Energie und Wärme (BEW) baut und baut, wie angekündigt bis 2028. Bis dahin werden entlang des Hindenburg- und des Wolfensteindamms Fernwärmeleitungen verlegt, und zu diesem Zweck mal der eine und dann wieder der andere Teil der Straße aufgerissen.

Eine Chronologie findet sich in einer parlamentarischen Anfrage der CDU-Abgeordneten Cornelia Seibeld aus dem Dezember 2024. Demnach begannen zunächst die Wasserbetriebe mit der Sanierung ihrer maroden Leitungen im Frühjahr 2020, also vor genau fünf Jahren. Während diese Arbeiten noch liefen, begann Vattenfall mit dem Bau der Fernwärmetrasse.

Cornelia Seibeld fragt nach Verzögerungen und deren Grund. Mehr als die ganz normalen Unwägbarkeiten finden sich hier nicht: Umplanungen, Baumwurzeln, veraltete Bestandspläne und dadurch entstandene Havarien, Bombenfund und so weiter. Nichts Besonderes.

 

Gehört mittlerweile zum Straßenbild: Müllhaufen zwischen Baustellenabsperrungen. Sie werden zwar recht fix entfernt, aber es kommt immer was nach… | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Paralleles Arbeiten von Wasserbetrieben und BEW sei nicht möglich, da deren Maßnahmen auf unterschiedlichen Straßenseiten ausgeführt würden, heißt es in der Antwort der Verkehrsverwaltung. Eine Vollsperrung sei jedoch zu vermeiden. Auf Betreiben des Bezirksamtes sei jedoch ein Projektsteuerer beauftragt worden, der die Baustelle koordinieren soll. Die Sinnhaftigkeit einer zusätzlichen externen Baubetreuung bleibt allerdings unklar.

Während Ressourcen freigegeben werden für Aufgaben, die die Unternehmen normalerweise eigenständig und mit hauseigenem Personal erledigen, bleiben die kleinen Gewerbetreibenden am Hindenburgdamm ohne Unterstützung (die Stadtrand-Nachrichten berichteten). Die Außenplätze der Gastronomen bleiben in der warmen Jahreszeit verwaist. Andere stürzen über die Verlegung der Bushaltestellen, für einen Blumenhändler und einen Bäcker machen sich die 100 Meter weiter nach rechts oder links ganz konkret in Umsatzeinbrüchen bemerkbar. Auch Zonen zum Be- und Entladen fehlen, hiervon sind beispielsweise Apotheken oder Möbelgeschäfte betroffen.

Den Wunsch nach Kurzzeitparkplätzen in den Nebenstraßen haben die Linken in der BVV aufgegriffen. Ihr Antrag wurde auch beschlossen, blieb aber ohne Folgen. „Ob alle Gewerbetreibenden bis 2026 beziehungsweise 2028 überleben, ist zu bezweifeln“, sagt der fraktionslose Linke Dennis Egginger-Gonzales, der am Hindenburgdamm im Büro der Abgeordneten Brychzy seinen Arbeitsplatz hat. „Man lässt die kleinen und oft migrantisch geführten Läden weiterhin hängen.“

Der Radweg ist sehr schmal, sanierungsbedürftig und eigentlich nicht zu gebrauchen. Eine geplante Busspur hat der Senat wieder gestrichen. Ein Gutachten bescheinigt der einst pulsierenden Meile erheblichen Entwicklungsbedarf (die Stadtrand-Nachrichten berichteten). Die politischen Akteure scheinen dem hilf- und tatenlos zuzusehen.

 

Das „Geisterhaus“ am Hindenburgdamm Ecke Gardeschützenweg: Auch der Stacheldraht hält Besucher nicht ab. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Das Geisterhaus

Die Ruine am Gardeschützenweg 3 Ecke Hindenburgdamm 72 passt da gut ins Bild. Seit Jahrzehnten lässt der Eigentümer es verfallen, die Behörden können ihn zu Sanierung oder Verkauf nicht zwingen. Treuhändermodelle und Ersatzvornahmen wurden erwogen und wieder verworfen, da rechtlich nicht durchsetzbar.

Zuletzt wurde das Grün zurückgeschnitten, der Zaun verstärkt und mit Stacheldraht versehen – um Unbefugte am Betreten des Hauses zu hindern, wie Stadtrat Tim Richter erklärt. Das funktioniert allerdings nicht: Als wir am Freitag Mittag vorbeischauten um uns selbst ein Bild zu machen, kam gerade ein junger Mann durch den Zaun geschlüpft. Offensichtlich hatte er hier übernachtet – „weil es auf der Straße so kalt ist“, wie er sagte.

Nun soll „im Wege der Vollstreckung eines entsprechenden Bescheides als Ersatzvornahme ein Gutachten erstellt werden“. Die Bewertung soll auch dem Eigentümer zur Verfügung gestellt werden, damit dieser die Möglichkeit hat, die darin gewonnenen Erkenntnisse zu nutzen. In nicht öffentlicher Sitzung haben dann auch die Bezirksverordneten die Möglichkeit, das Gutachten zu diskutieren, versprach Richter in der BVV im Februar. Der Stillstand wird also noch eine Weile andauern.

 

Das Tor bleibt zu: Keine Aussicht auf sommerliches Badevergnügen im Sommerbad Lichterfelde. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Das Sommerbad

Wer jetzt noch mehr schlechte Nachrichten braucht, wende seinen Blick fast ans andere Ende der Straße. Das Spucki bleibt im nächsten Sommer zu. Ein provisorischer Betrieb, wie vorsichtig Optimistische gehofft hatten, wird nicht stattfinden. Das bestätigte eine Sprecherin der Bäderbetriebe auf Nachfrage.

Wie berichtet, hatte das Abgeordnetenhaus im vergangenen Jahr keine Investitionsmittel für die Sanierung des Sommerbades am Hindenburgdamm in den Haushalt eingestellt. Auch für eine notdürftige Reparatur für einen provisorischen Betrieb fehlt den Bäderbetrieben das Geld.

Hinzu kommt, dass das Eingangsgebäude und Teile der Saunalandschaft vor einem Jahr durch Brandstiftung stark beschädigt wurden (wir berichteten). Eine Renovierung steht nach wie vor aus.

 

Foto: Initiative Edith Jacobson Damm

 

Der Straßenname

Seit 1914 heißt die Straße, die von der Schloßstraße durch den alten Dorfkern von Lichterfelde bis zur Königsberger beziehungsweise Drakestraße führt, nach dem deutschen Generalfeldmarschall Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorf und von Hindenburg. Wie viele Städte und Gemeinden in dieser Zeit und auch in folgenden Jahrzehnten wollte sich auch Berlin mit dem „im Felde unbesiegten“ prominenten Militär schmücken.

1925 wird der damals 77jährige Parteilose zum Reichspräsidenten gewählt. Am 30. Januar 1933 ernennt Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler und unterzeichnet am 28. Februar die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“, mit der die Nationalsozialisten den Weg in die Diktatur legitimieren.

Aus heutiger Sicht ist Hindenburg für viele der „Steigbügelhalter“ der Nazis, ohne sein Zutun hätte es Hitlers „Machtergreifung“ nicht geben können. Aus diesem Grund soll der 1934 verstorbene Hindenburg nicht mehr im Berliner Straßenbild geehrt werden.

So will es zumindest eine Initiative um den Künstler Wolfgang Kastner.  Die Aktivisten hatten im Juli 2024 in einer symbolischen Aktion das Straßenschild „Hindenburgdamm“/Ecke Drakestraße, mit dem Namen der jüdischen Ärztin an der Charité, Widerstandskämpferin und Psychoanalytikerin, Edith Jacobson, überklebt. „10.000 Unterschriften“, so Kastner, habe er für die Forderung erhalten, die „Demokratie-Zerstörer-Ehrung“ in Deutschlands Hauptstadt zu beenden, auch am Hindenburgplatz im Olympiapark.

Die für Straßenbenennungen zuständige Bezirkspolitik ist zurückhaltend. Zu sehr steckt den Beteiligten die mühsame Debatte zur Umbenennung der Treitschkestraße in den Knochen (die Stadtrand-Nachrichten berichteten). Man müsse die Fertigstellung der Bauarbeiten abwarten, winkt beispielsweise die Grünen-Fraktionschefin Ulrike Kipf müde ab.

Baustelle? Welche Baustelle?!

Daniela von Treuenfels

 

Laut Wikipedia
gibt es in Deutschland 17 ehemalige Hindenburgstraßen (und 95 bestehende)

Lesenswerte kritische Betrachtung der Person Paul von Hindenburg
https://berchtesgaden-gegen-rechts.de/wp-content/uploads/2024/07/Hindenburg_Broschuere_BGR.pdf

Informationen des Bezirksamtes zu den Baumaßnahmen am Hindenburgdamm:
https://www.berlin.de/ba-steglitz-zehlendorf/politik-und-verwaltung/aemter/strassen-und-gruenflaechenamt/artikel.1438069.php

 

 

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