Gerhard Ganz-Wagner ist verzweifelt. Seit 41 Jahren lebt der 81-Jährige gemeinsam mit seinem Mann Janos in einer Wohnung im Haus Horst-Kohl-Straße 15A. „Es war in den 70er Jahren nicht leicht, für zwei Männer eine Wohnung zu finden“, erzählt er. Ihr Geld steckten sie in den Ausbau ihrer Wohnung, in der sie ihren Lebensabend verbringen wollten. „Ich wollte hier im Sarg rausgetragen werden“, sagt Ganz-Wagner. Doch nun scheint ein Auszug unvermeidlich. Sein Wohnblock wurde verkauft und wird derzeit energetisch modernisiert. Danach steigt seine Miete um fast 100 Prozent an.

Von jetzt 450 Euro kalt auf dann 996 Euro soll die Miete für die Zwei-Zimmer-Wohnung von Cornelia und Andreas Schömann steigen. Sie sind vor sechs Jahren in das Haus gezogen, weil sie eine Wohnung mit günstiger Miete suchten. Da akzeptierten sie auch, dass diese fast nur Fenster zum Hof hat. „Die Wohnung ist dunkel. Ab drei Uhr nachmittags muss man Licht anmachen“ – auch im Sommer.

Zugegeben, das Haus ist alt. Errichtet wurde es 1910, der bisherige Eigentümer hat nicht viel getan. Dass es saniert werden muss, das sehen die Mieter ein. Sie hätten nichts gegen eine Instandhaltung, gegen neue Fenster und Wärmedämmung, sagen sie. Doch man werde hier „rausmodernisiert“, um die Wohnungen verkaufen zu können. Der Verwalter habe zu ihnen gesagt, dass es nur ums eine ginge – ums Geld, ums Geschäft, erinnert sich Cornelia Schömann. Und dabei arbeite man mit allen Tricks. Jedes Schreiben der Hausverwaltung enthalte eine Klagedrohung, Briefe und Anträge der Mieter gingen angeblich immer wieder verloren. An einem Sonnabend um 8 Uhr sei in einer leerstehenden Wohnung damit begonnen worden, die Wände herauszuschlagen, berichten die Mieter. Der Schutt sei einfach in den Hof geworfen worden und habe dort tagelang herum gelegen. „Wir werden systematisch terrorisiert“, sagt Cornelia Schömann, die sich derzeit gegen eine Klage der neuen Eigentümerin wehrt. Angeblich habe Schömann ein Mieterhöhungsverlangen nicht unterschrieben und zurückgesandt.

Das hinterlässt Spuren bei den Mietern, die psychisch angeschlagen sind. „Ich kann nicht mehr schlafen“, sagt zum Beispiel Dagmar Lipp.

Eigentümer weist Vorwürfe zurück

Im Dezember vergangenen Jahres wurden die Blocks mit den Hausnummern 15 und 15 A an die Samonig Altmark 8 GmbH & Co KG verkauft. Die wird das Objekt in Wohneigentum umwandeln, teilt Hausverwalter Frank Hofmann auf Nachfrage mit. Alle anderen Vorwürfe weist er allerdings zurück. „Eine relative Steigerung von um die 100 Prozent der zugrunde liegenden Kaltmieten erscheint wesentlich weniger eindrucksvoll, wenn man die über Jahrzehnte unverändert niedrig gebliebenen Grundmieten der betroffenen Wohnungen in absoluten Zahlen betrachtet. Demnach lagen die Grundmieten bei Objektübernahme durch die Eigentümerin zum Teil 54 Prozent unter der ortsüblichen Vergleichsmiete gemäß dem qualifizierten Berliner Mietspiegel 2013. Somit bedeuten 100 Prozent Mietsteigerung nach erfolgter Modernisierung die heute ortsübliche Miete“, so Hofmann. Auch Drohungen habe es nicht gegeben, betont der Verwalter. Er sagt, die Hausverwaltung habe das Gespräch gesucht. „Leider lehnen einige Mieter diese Gesprächsangebote rundheraus ab“, spielt er den Ball zurück. „In keinem einzigen Fall ist es zu ‚Drohungen‘ gegenüber Mietern gekommen“, so Hofmann weiter. „Mieter, die sich in der Zwischenzeit mit dem Wunsch zu Klärungen im persönlichen Gespräch an uns wandten, äußerten sich hingegen in jedem Einzelfall lobend und zufrieden über unsere Zusammenarbeit.“

Umfangreiche Sanierungsmaßnahmen plant die Samonig AG. Die seien „aufgrund eines erheblichen, über Jahrzehnte hinweg angewachsenen Instandhaltungsrückstaus erforderlich“. Das Haus wird energetisch modernisiert, erhält unter anderem einen Fassadenvollwärmeschutz inklusive Dämmung der untersten und obersten Geschossdecken, Fenster bekommen eine Wärmeschutzverglasung, die Elektrosteigleitungen werden modernisiert, die Gasetagenheizungen zurückgebaut, geplant ist stattdessen ein Anschluss an das Fernwärmenetz. Zudem sollen Balkone und Aufzüge angebaut werden.

Neue Balkone, neue Fahrstühle

Unnötig finden die Mieter einige der geplanten Arbeiten. Etwa die Balkone und die zwei Fahrstühle, die im ohnehin schmalen Innenhof gebaut werden sollen. Dann ist es mit dem Licht in ihrer Wohnung ganz vorbei, fürchten Schömanns.

Einer der beiden Fahrstühle soll direkt am Schlafzimmer von Dagmar Lipp und ihrem Mann vorbeiführen. Er sitzt im Rollstuhl. Da müsste ein Fahrstuhl eigentlich eine Erleichterung sein. Das sieht Lipp anders. Denn zum einen halte der Aufzug nur jeweils halbe Treppe, zum anderen könnten sie, ihr Mann und der Rollstuhl mit dem Fahrstuhl nicht gemeinsam fahren, weil die Last für den zu schwer wäre.

Klagen ist für die Mieter kaum möglich. Prozesskostenerstattung werde meist nicht gewährt, weil die Aussicht auf Erfolg in diesen Fällen zu gering sei, erklärt Barbara Boroviczeny vom Berliner Mieterverein, der die Mieter unterstützt. Und selbst wenn, würde diese Erstattung nur bis zur ersten Instanz gewährt.

Die neue Eigentümerin hingegen sieht bei „den uneinsichtigen Mietern zu ihrem Bedauern somit nur noch der Klageweg zur Durchsetzung ihres Duldungsanspruches.“

Appell an Bezirkspolitik

Das Vorgehen des Investors an der Horst-Kohl-Straße sei kein Einzelfall im Bezirk, sagt Boroviczeny. Deshalb sei es dringend notwendig, politisch aktiv zu werden, Strukturerhaltungsmaßnahmen oder Milieuschutz auf den Weg zu bringen. „Der Bezirk ist untätig, er lässt die Mieter auflaufen“, ärgert sich Boroviczeny. „Die politische Mehrheit in unserem Bezirk zeigt wenig Neigung, Bestandsmieter zu schützen oder Investoren – außer es handelt sich um Fassadenästhetik – soziale Auflagen für Neubauprojekte zu machen“, beklagt sie.

Für die Mieter an der Horst-Kohl-Straße käme das ohnehin zu spät. Sie gehen davon aus, dass sie ausziehen müssen. Wo sie allerdings bezahlbaren Wohnraum finden sollen, wissen sie nicht – wahrscheinlich nicht in Steglitz-Zehlendorf.

 (go)