Schauspielerin Luise Lunow schaute interessiert, was Livekritiker Uwe Geiger (links) während der Vorstellung getwittert hatte. Foto: Gogol

„Smarthphones und Tablet-PCs an“ hieß es am Sonntag vor der Vorstellung von „Ladykillers“ im Schlosspark Theater. Rund 50 Livekritiker hatten im Publikum Platz genommen, um direkt aus der Vorstellung zu bloggen, zu twittern oder bei facebook zu posten, wie das Stück so läuft. Es war das erste Mal, dass in einem deutschen Theatersaal so etwas stattfand, erklärte Till Führer vom Portal livekritik.de, das das Experiment angeschoben hatte.

Kurz nach 22 Uhr: Das Stück ist vorbei, der Applaus verklungen, die Zuschauer verlassen so langsam das Theater. Bis auf einige Livekritiker, die sich im kleinen Vorraum einfinden, um gemeinsam mit dem Ensemble das Experiment auszuwerten.

Karin Hollinger und Marion Nimczyk sind kulturinteressiert und oft bei facebook unterwegs: Ein Kombination, die bei so einem Experiment passt. Doch gebloggt hätten sie nicht während der Vorstellung, erzählen sie. „Ich wollte nicht stören“, sagt Hollinger. „Das ist respektlos den Künstlern gegenüber“ findet sie. Ihre Kritik wird sie von zu Hause aus schreiben. So wie auch schon in der Vergangenheit. Hollinger arbeitet bei den Draußenwerbern, da gibt es manchmal Freikarten für das Theater, erzählt die Schönebergerin. Es wird eine gute Kritik werden, verrät Hollinger. Ihre Meinung zur Livekritik ist ein bisschen differenzierter. Es müsste spezielle Vorstellungen geben oder die Blogger müssten in der letzten Reihe sitzen, um nicht die anderen Zuschauer zu stören.

Ähnlich sieht es auch Uwe Geiger, der allerdings live aus dem Theatersaal twitterte und bei facebook schrieb – selbst als der Router im Theater ausfiel. Für ihn sei es das erste Mal, dass er bei einer Livekritik dabei sei, so Geiger. Allerdings habe er als „digital native“ schon bei anderen digitalen Liveevents mitgemacht. Doch die Technik in die Kultur zu bringen, sei ein brisantes Thema, findet Geiger. Es sei schwierig, sich gleichzeitig dem Stück und dem Display zu widmen. „Das gelingt nur, wenn man die Würdigung gegenüber dem Ensemble abklemmt“, so der Blogger. Zudem habe er versucht, so wenig wie möglich zu stören, erzählt er. Hat die Helligkeit des Displays gesenkt und die Tastentöne stumm geschaltet. Livekritik sei ein „Pferd, dem man Zaumzeug anlegen muss“, findet Geiger. Es müssten Strukturen geschaffen werden, die dem Ensemble, dem Theater und dem Blogger gerecht würden.

Dass eine der größten Sorgen – dem Ensemble zu wenig Respekt entgegenzubringen – unbegründet ist, zeigt sich in der Diskussion mit den Schauspielern. „Wir konzentrieren uns auf das Spiel“, was im Publikum geschiet, sehe man nicht, so Raimond Knoll und Ingeborg Krabbe. Viel eher sei es respektlos gegenüber den anderen Zuschauern, findet Krabbe.

Überhaupt scheint das Ensemble diesen Versuch eher mit Humor zu nehmen. Klar sei es sehr interessant, zu erfahren, wie das Publikum über das Stück denkt. Man könne die Kritik noch auf der Bühne lesen, scherzt Thomas Limpinsel. „Und dann entscheiden, ob wir am nächsten Tag noch spielen“, ergänzt Knoll augenzwinkernd. Doch für ihn sei auch wichtig zu erfahren, wer die Kritiken schreibt. Sind das ausgebildete Kritiker oder Hobbyschreiber? Welche Theatererfahrungen haben sie? Jugendliche Tele5-Zuschauer könnten mit ihrem Stück wohl wenig anfangen, findet Knoll.

Es sei eher eine Live-Berichterstattung wie man es aus dem Sport kenne als eine wirkliche Kritik, versucht Geiger den Schauspielern zu erklären. Das Faszinierende daran ist, dass auch Leute außerhalb des Theaters, in anderen Städten oder Ländern dabei sind und auch darauf reagieren, wie beispielsweise das Theater Heilbronn, das via twitter an der Vorstellung teilnahm.

Für das Schlosspark Theater sei dies ein einmaligen Experiment, um „die iPhone-Generation ins Theater zu bringen“, erklärt Harald Lachnit, zuständig für Presse, Marketing und Verkauf.

Das Portal livekritik.de ist seit Juni 2012 online. Wer als Livekritiker aktiv werden will, sollte Lust auf Kultur und Interesse am Schreiben habe, erläutert Führer die beiden einzigen Bedingungen. Man wolle den Kulturdiskurs nicht umkrempeln, erklärt der leitende Redakteur. „Aber wir wollen die Energie anzapfen, die die Leute nach dem Besuch einer Kulturveranstaltung haben. Die wollen darüber reden“, ist sich Führer sicher.

(go)