Papier ist für uns heute ein billiger Alltagsartikel, der zum einfachen Verbrauch bestimmt ist. Selbst Bücher sind mittlerweile zu Wegwerfprodukten geworden. Galt früher eine gutsortierte Bibliothek als Aushängeschild und Prestigeobjekt, werden heute Buchbestände häufig lediglich als ein Ballast wahrgenommen. Gelesene Bücher landen deshalb regelmäßig im Müll – bestenfalls im Papiermüll. Dabei gibt es Alternativen, z.B. Bücherboxen oder soziale Projekte. Alleine in Berlin gibt es offiziell mindestens 60 öffentliche Bücherschränke, bei denen man nicht mehr gebrauchte Bücher abgeben kann. Eine ganze besondere Form der Bücherrettung stellen Bücherdörfer und -städte dar.
Es handelt sich dabei um Dörfer oder Städte, die sich durch eine hohe Dichte an Antiquariaten auszeichnen bzw. bei denen auch die Gastronomiegewerbe und andere Wirtschaftszweige eng mit dem Buchhandel verbandelt sind. Als erste Bücherstadt der Welt gilt Hay-on-Wye in Wales, wo ein Container von alten Büchern aus New York den Grundstein für die Entwicklung legte. Hier wurde daraus 1961 das Konzept geboren und das Dorf mit seinen knapp 2.000 Einwohner*innen kann stolz auf mittlerweile 40 Antiquariate verweisen. Zum Vergleich: Im Antiquariatsführer für Berlin sind derzeit knapp 70 Antiquariate aufgelistet – bei einer Einwohner*innenzahl von 3,58 Millionen. Auch in anderen europäischen Ländern, vor allem in Frankreich, aber auch in Japan, Malaysia und den USA setzt sich dieses Konzept langsam durch, obwohl das Internet eine große Konkurrenz darstellt.
Der Grundstock von Bücherdörfern und –städten ist häufig die Rettung von zur Vernichtung freigegebenen Bücherbeständen. Dies erfolgte z.B. im Rahmen der Wiedervereinigung massenhaft, wo sich die Bibliotheken sowie auch Privathaushalte von den Altbeständen aus DDR-Zeiten trennten – selbst größere Verlage vernichteten ganze Auflagen ihrer Titel. Ein Teil davon wurde von ausländischen Bibliotheken – wie der Universitätsbibliothek der Université Paris VIII – Saint Denis gerettet (mehrere 10.000 Medien) –, von Einzelpersonen wie dem ehemaligen »Tatort«-Kommissar Peter Sodann (60.000 Bände) und dem Gründer der „Bücherburg“, dem evangelischen Pfarrer Martin Weskott oder von späteren Bücherstädten gerettet.
Eine solche Bücherstadt ist Wünsdorf in Brandenburg, nahe Zossen. Sie ist eine von vier auf Wikipedia für Deutschland aufgelisteten Bücherstädten Deutschlands (Langenberg, Mühlbeck, Müllenbach, Wünsdorf) und verfügt über vier gut sortierte Antiquariate mit ca. 150.000 Büchern. Die Auswahl ist riesig und Genre-übergreifend von Klassikern der Literatur, über Militaria bis hin zu ganzen Jahrgängen der Monatszeitschrift vom Wandervogel – meist zu Preisen, die erschwinglich und unter dem von der Konkurrenz im Internet sind. Es stellt damit den wichtigsten Erwerbszweig in jener Kleinstadt dar. Daneben gibt es militärische Anlagen (Bunker) und Museen (Garnisonsmuseum, Radsportmuseum, Roter Stern, Museum des Teltow) zu besichtigen.
Seit 1998 ist Wünsdorf offiziell Bücherstadt und damit in Deutschland die zweitälteste Bücherstadt – nur Mühlbeck ist lediglich ein Jahr länger als Wünsdorf offiziell Bücherstadt. Eine schöne Entwicklung für eine Stadt, deren Geschichte eng mit dem Militär verbunden ist.
Das Städtchen mit seinen 6.000 Einwohner*innen hat es geschafft, sich aus dem Status einer (militärischen) Geisterstadt, ein Ausflugsziel für Literaturfreunde/innen und Geschichtsinteressierte heraus zu entwickeln. Jahrzehntelang war die Stadt eine militärische Sperrzone, die von der sowjetischen Armee genutzt wurde, nachdem hier schon das deutsche Militär einen Grundstock dafür gelegt hatte. Wie jede gute brandenburgische Stadt verfügt Wünsdorf aber natürlich auch über eine Hommage an den Literaten Theodor Fontane – nämlich das Fontane-Kabinett im Gutenberghaus. Aus diesem Grund lohnt sich der eine oder andere Tagesausflug in diese Stadt, sowohl zur Besichtigung als auch zum Bücherkauf.
Zur Anreise nach Wünsdorf nehmen Sie am besten den RE 5 oder RE 7 bis zum Bahnhof Zossen. Von hier aus geht es zu Rad, per Bus oder zu Fuß weiter in die Bücherstadt.
Website von Wünsdorf mit Öffnungszeiten der Museen und gastronomischen Einrichtungen: http://www.buecherstadt.com
Website der Bücherburg: http://www.buecherburg.de
Liste von Bücherboxen in Deutschland: https://utopia.de/booksharing-karte-zeigt-oeffentliche-buecherschraenke-8942/
Webseite der Fotografin Yvonne Schwarz / Semiramis Photoart: https://www.semiramis-photoart.de
Der Beitrag erschien ursprünglich als Beitrag in der Contraste. Zeitung für Selbstorganisation (https://www.contraste.org).
Dr. Maurice Schuhmann
Website: https://www.maurice-schuhmann.de
Autorenseite bei FB: https://www.facebook.com/Dr.phil.Schuhmann
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Anm. d. Red.
Dr. Schuhmann ist promovierter Politikwissenschaftler
und Autor des philosophiegeschichtlichen Städteführers
„Geistreiches Berlin und Potsdam“ (Bäßler Verlag 2021).
Der Städteführer ist erhältlich über:
https://www.baesslerverlag.de/p/geistreiches-berlin-und-potsdam
Guter Beitrag, Wünsdorf ist auf jeden Fall einen Besuch wert, auch für Fans von Lost Places. Öffentliche Bücherschränke sind ebenfalls eine tolle Einrichtung, die ich ab und zu schon genutzt habe, wenn ich ausgelesene Krimis etc. nicht an Bekannte verschenkt habe.
Laut Wiki und Stand Januar 2022 sind derzeit 83 öffentliche Bücherschränke in Berlin erfasst. Die Liste auf Wiki ist recht hilfreich mit ihrer Sortierfunktion, wenn man z.B. einen Bücherschrank in der Nähe sucht:
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_%C3%B6ffentlicher_B%C3%BCcherschr%C3%A4nke_in_Berlin
Leider ist der Stand zumindest für Steglitz nicht mehr aktuell, denn das Bücherregal im Sirplus-Rettermarkt in der Schlossstraße gibt es nicht mehr, da alle Berliner Sirplus-Rettermärkte inzwischen wieder schließen mussten.
Hallo Frau Kück,
falls Sie noch auf der Suche nach Lesestoff in Steglitz sind, oder Ihre ausgelesenen Bücher weitergeben möchten – in der Berlinickestraße unweit des S-Bahnhof Rathaus Steglitz steht neben dem Nachbarschaftsladen ein Tausch-Schrank, in dem überwiegend Bücher stehen. Online findet man zusätzlich die so genannte Bücherboxx am Markusplatz. Ob es diese tatsächlich noch gibt, weiß ich allerdings nicht (https://www.berlin.de/special/sharing/oeffentliche-buecherschraenke/8191268-8165489-buecherboxx-am-markusplatz.html ).
Viele Grüße
J.G.
Mein Gott Herr Schumann, was tun Sie uns Lesern mit ihrem Gendern an. Jeder Text liest sich so nicht flüssig. Diese modische Marotte ist Ihnen hoffentlich irgendwann selber peinlich.