Später als angekündigt soll die Autobahn über dem Breitenbachplatz ab dem kommenden Jahr für 10 Millionen Euro abgebrochen werden. Der Grund für die Verzögerung ist nach Recherchen der Stadtrand-Nachrichten eine Ausschreibung mit unrealistischen bzw fehlenden Bauzeitvorgaben. Derweil beweist die Verwaltung, dass sie viel unternimmt, um die Anwohner zu entlasten.
Es gibt Pannen, die sind verzeihlich, und lustig dazu. 10.000 Kubikmeter Asphalt solle abgeräumt werden, hieß es in der Vorbemerkung zur Ausschreibung zu den Abrissarbeiten am Breitenbachplatz im vergangenen Sommer. Bei einer Fläche von 10.000 Quadratmetern Straße wäre die Asphaltschicht einen ganzen Meter dick gewesen. Mehr als die 7.200 Kubikmeter Beton, die noch dazu kommen. Insgesamt ein Würfel von rund 26 Metern Kantenlänge auf einer Grundfläche von 670 Quadratmetern.
Das ist natürlich Quatsch, und in den Vergabeunterlagen sind die Zahlen auch korrekt angegeben: Eine Asphaltfläche von 10.000 Quadratmetern und einer Dicke von 13 Zentimetern muss abgefräst und entsorgt werden.
Ein anderer Teil der Ausschreibung sorgt nun für eine Terminverschiebung, zunächst bis ins Frühjahr. Ende September erhielt die SDL Citybaumanagement GmbH den Auftrag zum Abbruch der Brücke. Laut Baubeschreibung sollte die Firma „spätestens zwei Wochen nach Zuschlagserteilung“ einen detaillierten Bauzeitenplan vorlegen. Angesichts der Aufgabe ist diese Vorgabe nicht nur sportlich, sondern nicht zu schaffen. Die Abbruchplanung für ein solch großes Projekt dauert mehrere Monate, bestätigt ein erfahrener Bauleiter den Stadtrand-Nachrichten.
„Aktuell werden noch Materialuntersuchungen durch den beauftragten Unternehmer durchgeführt, damit dann eine entsprechende Zuordnung der auszubauenden Materialien zur Wiederverwertung erfolgen kann“, so ein Sprecher der Verkehrsverwaltung zum Stand der Dinge. Die Verzögerungen lägen in den konkreten Abstimmungen zur technischen Bearbeitung und den damit verbundenen Genehmigungsprozessen. „Erst mit Vorlage aller Nachweisunterlagen, der Unterlagen zur Beweissicherung und den statischen Nachweisen zum Rückbau kann mit den konkreten Rückbauarbeiten begonnen werden. Auf Grund verschiedener Nachforderungen und Konkretisierungen der Unterlagen konnten diese Freigaben noch nicht erfolgen.“
So weit, so normal – die Realität hat die Vergabepraxis der Verwaltung eingeholt. Der offizielle Startschuss ist also nicht festgelegt. Leider gilt das auch für das Ende der Bauarbeiten. Die Bauzeit soll 610 Werktage betragen, also rund zwei Jahre. Offen bleibt, wann genau diese Frist beginnt, die Vergabeunterlagen lassen das offen. Deshalb kann heute niemand sagen, wann die Arbeiten beendet sein sollen. Möglicherweise kann es da noch Überraschungen geben.
Wie kaputt ist die Brücke?
Als Grund für den Abriss der Fahrbahn nennt die Verkehrsverwaltung auf ihrer Internetseite „umfangreiche bauliche und baustoffbezogene Mängel“. Es seien „bei den Bauwerken unterdimensionierte Schubbewehrung, Defizite in der Dauerhaftigkeit der Koppelfugen und allgemeine Bemessungsdefizite hinsichtlich der Temperaturbeanspruchung vorhanden. Entscheidend ist jedoch, dass die Bauwerke 1978 mit Sigma-Spannstahl errichtet wurden, welcher als gefährdet hinsichtlich einer verzögerten Bruchbildung infolge von Spannungsrisskorrosion eingestuft wurde. Insbesondere dieser baustoffliche Mangel kann nicht durch bauliche Maßnahmen beseitigt oder durch Reduzierung der Verkehrsbelastung kompensiert werden.“
Ein Gutachten, welches diese Mängel zusammenfassend beschreibt, gibt es nicht, teilt ein Sprecher der Verkehrsverwaltung auf unsere Anfrage mit. „Vielmehr liegen eine Vielzahl an Begutachtungen, Nachrechnungen, Prüfprotokollen und sonstigen Untersuchungen vor, welche zur Bewertung des Bauwerkszustandes geführt haben.“ Gemeint sind: „die Materialeigenschaften des Spannstahls, die Schäden an den Entwässerungseinrichtungen, Risse im Beton, Schäden an den Fahrbahnübergängen und eine Vielzahl an weiteren Einzelschäden an der Bauwerkskonstruktion.“
Wie jedes Brückenbauwerk in Deutschland wurde auch die Breitenbachbrücke alle drei Jahre einer Prüfung unterzogen. In den Ausschreibungsunterlagen für die Abrissarbeiten findet sich der vierteilige ausführliche Bericht aus dem Jahr 2022, der die Mängel genau beschreibt. Am Ende gibt es für jeden der vier Prüfbereiche eine Bewertung in Form einer Punktzahl und eine Empfehlung, wie zu verfahren wäre.
Die Zustandsnoten für Brücken gehen von 1 bis 4 und sind in sechs Bereiche unterteilt. 2,5 bis 2,9 Punkte bedeutet so viel wie „ausreichender Zustand“. Das Bundesamt für Straßenwesen ordnet ein: „Eine Zustandsnote von 3,0 bis 3,4 (nicht ausreichender Bauwerkszustand) bedeutet nicht zwangsläufig eine Nutzungseinschränkung des Bauwerkes, sondern ist vielmehr ein Indikator dafür, dass in näherer Zukunft eine Instandsetzungsmaßnahme zu planen ist.“
Zum Beispiel: westlicher Überbau der Breitenbachbrücke. Die Zustandsnote ist 2,9. Der Gutachter empfiehlt kurzfristige Maßnahmen zur Reparatur einzelner Bereiche der Anlage. Die anderen Prüfteile (östlicher Überbau und die beiden Auffahrten) werden mit 2,8, mit 2,0 und mit 2,5 bewertet. Deutschlandweit liegt der Anteil der Brücken mit Noten zwischen 2,5 und 2,9 bei 23,1 Prozent. Fast die Hälfte aller Brücken bekommt Bewertungen von 2,0 bis 2,4 (Stand September 2024). Der Prüfgutachter empfiehlt für die Breitenbachbrücke an keiner Stelle eine Sperrung oder den Abriss.
Der wird auch für die Brücken der ehemaligen A 104 jenseits des Schlangenbader Tunnels nicht realisiert. Es liegt nahe, dass alle Brückenbauwerke entlang der zwischen 1974 und 1980 gebauten Autobahn mit gleichartigen Baustoffen errichtet wurden.
Einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Politikerin Antje Kapek vom Oktober diesen Jahres zufolge wurde die Brücke Wiesbadener Straße im Jahr 2023 mit der Bestandsnote 2,5 bewertet. Die beiden Teilbauwerke sind Bestandteil des Tunnels Schlangenbader Straße und sollen im Rahmen der Tunnelarbeiten saniert werden. Die Brücke über die Mecklenburgische Straße (Note 2,8 und 2,2) soll 2025 und 2026 für rund 300.000 Euro saniert werden. Arbeiten an der Brücke über die Forckenbeckstraße (2,5 und 2,8) und an der Brücke über den Westring (2,9 und 2,8) stehen ab Ende 2025 an.
Die Frage, ob der Abbruch der Breitenbachbrücke wirklich technisch notwendig war, ist eher philosophischer Natur. Fakt ist: der Drops ist gelutscht. Der im Ungefähren gehaltene Zeitplan sieht den Beginn der Abrissarbeiten im 2. Quartal 2025 vor. In dieser Zeit sollen auch im Tunnel die ersten Baumaßnahmen beginnen. Bis 2028 dauern die Arbeiten in der Röhre, die insgesamt 40 Millionen Euro kosten sollen.
Was die Anwohner rund um die Baustelle jetzt hauptsächlich interessiert, ist: Tut die Verwaltung das Mögliche, die Belastungen durch Lärm, Dreck und Baustellenverkehr in Grenzen zu halten?
Die Verwaltung hat ein Ohr für die Menschen vor Ort
Die zweite Informationsveranstaltung der Verkehrsbehörde zum Bauvorhaben Breitenbachplatz legt nahe: das Projektteam versucht sein Bestes. Allein die Tatsache, dass der Hörsaal A des Henry-Ford-Baus am Dienstag mit rund 150 Personen nicht einmal zur Hälfte gefüllt war, zeigt, dass der Redebedarf abgenommen hat. Beim ersten Termin im Februar im Kino Titania waren knapp 400 Plätze voll belegt, viele Interessierte mussten draußen bleiben.
Auch die Unmutsbekundungen nahmen weniger Raum ein. Der Druck auf die Wohnstraßen durch den Umfahrungsverkehr ist stellenweise noch groß, wie Anwohner berichteten. Doch offenbar hat sich die Situation durch einzelne Maßnahmen der Verkehrsverwaltung insgesamt entspannt. Von einem Zuhörer gab es sogar ein großes Lob für „die professionelle Arbeit“, verbunden mit einem Dank an das Projektteam.
Dessen Leiter Arne Huhn beteuerte, „Wir werden aktive Nachbarn werden, auch wenn wir eher laut sind“. Konkret wird versprochen, Grenzwerte einzuhalten und die vorgeschriebene Trennung der Baustoffe nicht vor Ort durchzuführen. Außerdem werden nötigenfalls Schutzeinrichtungen vorgehalten und Benässungen bzw Bestäubungen veranlasst, um die Staubentwicklung zu minimieren. Sperrungen der U-Bahn und des Busverkehrs sind nur in Ausnahmefällen vorgesehen, aber nicht geplant.
Das größte Geschenk für die demnächst hoch beanspruchte Nachbarschaft rund um die Baustelle kam nur in einem Nebensatz vor und lässt sich nicht hoch genug bewerten: der Abtransport des Abbruchmaterials erfolgt über die vorhandenen Rampen und durch den Schlangenbader Tunnel. In der Ausschreibung war dieses Vorgehen noch als „verboten“ bezeichnet und damit ausgeschlossen. Offenbar haben sich in der Verwaltung die Pragmatiker durchgesetzt beziehungsweise jene, die die Leute vor Ort im Blick haben.
„Über Jahre hinweg wird es für Sie nicht einfach“, sagte Projektmitarbeiter Dennis Kohllöffel. Durch die kurzfristige Tunnelsperrung seien viele ad-hoc-Entscheidungen zu treffen gewesen. Einiges, was man sich in der Theorie überlegt habe, hätte in der Praxis nicht funktioniert. Der Unmut darüber sei verständlich, „wir haben eine Menge Lehrgeld bezahlt“. Diese Offenheit kam an im Publikum – einige Zuhörer denken jedoch bereits über den Tag hinaus:
Viele Fragen der Anwohner bezogen sich auf die Zukunft der Platzgestaltung, die zukünftige Verkehrsführung sowie die Zukunft der Pfeiler, die zunächst stehen bleiben sollen. Wie es nach dem Ende der Abbrucharbeiten weiter geht, ist bislang unklar. Projektleiter Huhn empfahl, die Zeit bis dahin zu nutzen. „Vielleicht ist es ganz gut, ein Mahnmal zu haben, das daran erinnert, dass es einen Plan für die Zukunft geben muss“. Gemeint sind die Brückenpfeiler, die „auf jeden Fall wegkommen“.
Die Masse von zwei Eiffeltürmen werde ab dem nächsten Jahr am Breitenbachplatz abgetragen, erläutert Projektmitarbeiterin Sophie Bahn, um die Größe der Aufgabe zu verdeutlichen.
Wie viele Kubikmeter das sind, werden wir vielleicht an anderer Stelle ergänzen.
Daniela von Treuenfels
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