Bild: Pixabay

 

Am Samstag wurden zwei als SPD-Mitglieder erkennbare Personen an einer Lichterfelder Bushaltestelle von jungen Rechtsextremen brutal attackiert. Gegen drei der vier jugendlichen Täter wurden jetzt Haftbefehle erlassen.

Ein 19-Jähriger wurde unter Auflagen vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont, teilte die Staatsanwaltschaft Berlin mit. Die anderen Jugendlichen sind 16, 18 und 19 Jahre alt. Die vier Männer seien aus Sachsen-Anhalt nach Berlin gereist, ergänzt ein Sprecher auf Nachfrage, drei von ihnen seien auch dort gemeldet. Ihr Ziel soll eine rechtsextreme Demonstration gewesen sein, die unter dem Motto „Für Recht und Ordnung: gegen Linksextremismus und politisch motivierte Gewalt“ am Nachmittag in Friedrichshain stattfand. Aufgerufen hatte ein sogenanntes „Aktionsbündnis Berlin“, ein neues Netzwerk aus Rechtsextremen, AfD-Politikern und nationalistischen Jugendgruppen, wie die taz berichtete. Hauptakteur ist die rechtsextreme Gruppierung „Deutsche Jugend voran“, deren Mitglieder äußerst gewaltbereit auftreten (der Tagesspiegel berichtete).

Gegen 12.30 Uhr wollte Carolyn Macmillan am Kranoldplatz in den 184er Bus Richtung Tempelhof steigen, als sie und ihr Begleiter von hinten angegriffen wurden, so berichtet es die SPD-Bezirksverordnete den Stadtrand-Nachrichten. Auf dem Weg vom Infostand ihrer Partei am Kranoldplatz hatten beide vergessen, ihre Mützen mit den Parteilogos abzunehmen. „Das machen wir sonst immer, weil wir niemanden behelligen wollen, aber auch aus Sicherheitsgründen“, so die Lokalpolitikerin.

Die Sozialdemokratin steht im Telefongespräch am Montag noch immer hörbar unter Schock. Die Männer hätten „Linke Zecken“ rufend ihnen die Mützen vom Kopf gerissen. Ihr Begleiter, der daraufhin laut geworden sei, sei von den Männern zu Boden geworfen worden. Auch sie selbst stürzte und musste mit ansehen, wie der wehrlos Liegende weiter getreten und geschlagen wurde. Die zahlreichen Passanten hätten zunächst gar nicht und dann sehr zögerlich eingegriffen.

Zwei zufällig anwesende Polizisten konnten schnell Verstärkung anfordern, wurden bis dahin jedoch von den Angreifern schwer attackiert. Einer wurde rassistisch beleidigt und dann mit einer Glasscherbe im Gesicht verletzt, ein anderer erlitt eine Fraktur an der Mittelhand. So teilten es Staatsanwaltschaft und Polizei am Sonntag mit. Alle Verletzten wurden ins Krankenhaus gebracht, konnten nach ambulanter Behandlung aber wieder entlassen werden. Wer die Tat beobachtet oder mit dem Handy dokumentiert hat, wende sich an den Polizeilichen Staatsschutz des Landeskriminalamts Berlin unter der Telefonnummer (030) 4664-953227 (zu Bürodienstzeiten) bzw. (030) 4664-953250 (außerhalb von Bürodienstzeiten) oder per E-Mail an nLKA532@polizei.berlin.de. Auch über die Internetwache der Polizei Berlin oder jede andere Polizeidienststelle können jederzeit Hinweise übermittelt werden.

Offenbar suchten die Neonazis gezielt den gewalttätigen Konflikt mit politisch Andersdenkenden, gingen dabei aber wahllos vor. Vor der Attacke am Kranoldplatz sollen sie Polizeiangaben zufolge bereits in Lankwitz mit SPD-Wahlkämpfern aneinandergeraten sein. Die Begegnung mit Carolyn Macmillan und ihrem Begleiter war offenbar ein schrecklicher Zufall.

Es gab, so die Berliner Polizei auf Anfrage, weder im nahen Umfeld noch im ganzen Bezirk angemeldete Versammlungen gegen Rechtsextremismus oder für eine vielfältige Gesellschaft. Hier hätten die marodierenden Neonazis leicht ihre Opfer finden können. Auch die vom Rechtsaußen Andreas Wild betriebene „Staatsreparatur“ am Jungfernstieg verzeichnet in ihrem Online-Kalender an diesem Tag keine Veranstaltungen, dieser Bezug kommt also in diesem Fall als Ausgangspunkt für eine Tour durch den Bezirk eher nicht in Frage. Der von der AfD als zu extrem verstoßene ehemalige Berliner Abgeordnete distanziert sich via X halbherzig von der Tat. Die SPD würde „wohl zu recht“ Gewalt beklagen, aber  – „Ob es tatsächlich `Rechtsradikale´ waren?“

Diese Zuschreibung bezweifelt derzeit niemand, und Tanja vom Register Steglitz-Zehlendorf findet weder die Attacke noch das jugendliche Alter der Täter sonderlich überraschend. Die Berliner Register sind eine Monitoringstelle für rechte und diskriminierende Vorfälle, erfasst werden alle Spielarten der Hassrede vom Aufkleber über Beleidigungen bis zur rassistischen Polizeigewalt. „Berlinweit beobachten wir, dass sehr junge Neonazis sich zunehmend vernetzen“, sagt Tanja, die ihren Nachnamen aus Sicherheitsgründen in der Öffentlichkeit nicht nennt. Auch die Attacke auf SPD-Wahlkämpfer passe ins Bild: Sei es früher vor allem um Linke und Linksextreme gegangen, würden nun vermehrt Politiker der politischen Mitte zur Zielscheibe, besonders SPD und Grüne.

Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf rangiert in der Statistik der Berliner Register eher an unterer Stelle. Die Erfassung der Zahlen für 2024 sei zwar noch nicht abgeschlossen, so Tanja, „aber es ist eine deutliche Zunahme rechter Vorfälle in Lichterfelde zu verzeichnen.“ Hier würden insbesondere Aufkleber, Schmierereien oder Flyer gesichtet, die über extrem rechte Versandhandel bestellbar seien. Auch soziale Einrichtungen, weiß die bezirkliche Register-Leiterin, erhalten anonyme Post mit rassistischen Inhalten sowie Sticker auf Schaukästen.

Offenbar gibt es mehr Sensibilität für Hassbotschaften und rechtsextreme Symbole im öffentlichen Raum. Die Toleranz gegenüber vermeintlich harmlosen Stickern sinkt. Carolyn Macmillan hofft nun nach ihrer Erfahrung auf mehr. „Sie wollen uns einschüchtern und Angst verbreiten“, sagt sie, dem müsse man gemeinsam und entschieden entgegentreten.

Bisher gibt es viel Anteilnahme und Solidaritätsbekundungen. Außer der AfD haben alle Parteien im Bezirk die Attacke auf die beiden SPD-Mitglieder verurteilt. „Solche Angriffe sind nicht nur Angriffe auf Einzelpersonen, sondern auf die Grundwerte unserer Demokratie und das friedliche Zusammenleben in unserem Bezirk“, schreibt beispielsweise CDU-Fraktionschef Torsten Hippe. Und Ulrike Kipf von den Grünen lässt mitteilen: „Es ist unsäglich, dass wir als Demokrat*innen Angst haben müssen, unsere Überzeugung zu vertreten. Gewalt und Angst dürfen nicht siegen und Politik dominieren.“

Die Initiative Lichterfelde weltoffen will in dieser Woche überlegen, wie sich öffentlich Solidarität mit den Angegriffenen zeigen lässt „und zugleich Gesicht gegen jede Form des Rechtsextremismus, gegen Gewalt und für unsere Demokratie“. Die Omas gegen Rechts planen, am Samstag auf dem Kranoldplatz „Präsenz zu zeigen“.

Daniela von Treuenfels

 

Update:

am Samstag, 21.12. ist um 13 Uhr eine Demonstration geplant:

 

 

Lesenswerte Berichte:

Interview mit Carolyn Macmillan (Boris Buchholz)

https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/ein-opfer-spricht-uber-die-neonazi-attacke-in-berlin-lichterfelde-er-lag-am-boden-die-manner-schlugen-weiter-auf-ihn-ein-12888013.html

Hintergründe zu den Tätern (Julius Geiler)

https://www.tagesspiegel.de/berlin/springerstiefel-ku-klux-klan-und-zecken-boxen-das-sind-die-hintergrunde-der-neonazi-schlager-von-lichterfelde-12886609.html

Interview mit Carolyn Macmillan:

https://www.spiegel.de/panorama/berlin-lichterfelde-angriff-auf-spd-mitglieder-das-haben-die-nicht-zum-ersten-mal-gemacht-a-8a76e7d4-35cc-48b0-9e07-7b71d3454d0a

 

Update 27.12.24:

Die Berliner Staatsanwaltschaft teilt mit:

Wegen der mutmaßlich politisch rechtsmotivierten Attacke auf Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und anschließenden massiven Widerstandshandlungen gegen einschreitende Polizeibedienstete vom 14. Dezember 2024 wurden am heutigen Tag Durchsuchungsmaßnahmen gegen die vier jungen Männer im Alter 16, 18 sowie zwei Mal 19 Jahren sowie gegen nunmehr drei weitere Beschuldigte im Alter von 15, 19, 21 Jahren und eine weitere Beschuldigte im Alter vom 16 Jahren umgesetzt.

Rund 110 Einsatzkräfte der Polizei Berlin sowie der Polizeien der Länder Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt vollstreckten dabei an zehn Wohnanschriften in Wolfsburg, Aschersleben, Rötha, Halle an der Saale, Schkopau und Leuna insgesamt neun Durchsuchungsbeschlüsse.

Die Beschuldigten stehen im Verdacht, Mitglieder der politisch rechtsmotivierten Jugendorganisation „Deutsche Jugend zuerst“ zu sein. Die Gruppierung soll es sich u.a. zum Ziel gesetzt haben, bundesweit an politisch rechts ausgerichteten Versammlungen teilzunehmen und dabei auch gewaltsam gegen politische Gegner vorzugehen.

https://www.berlin.de/generalstaatsanwaltschaft/presse/pressemitteilungen/2024/pressemitteilung.1516533.php

 

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