Innovativ und auf das Wesentliche ausgerichtet: Der Lidl-Neubau in der Bergstraße. Foto: Junia Greb-Georges

 

Endlich. Ein Discounter, bei dem man ohne Umstände mit dem Auto bequem alle Einkäufe erledigen kann. Schon bei der Ankunft am Neubau in der Steglitzer Bergstraße merke ich: Dieser Markt ist etwas Besonderes.

Es gibt eine große Tiefgarage und viele Einkaufswagen direkt neben den Parkplätzen. Und nicht nur das. Ich kann mir aussuchen, ob ich lieber mit dem Fahrstuhl oder über die Rolltreppe das Einkaufsparadies erreichen möchte. Zwar sitze ich, wie die allermeisten, den ganzen Tag am Schreibtisch, aber Bewegung war mir schon immer zuwider. Es ist mir auch ein Rätsel, weshalb manche Menschen mit dem Fahrrad zum Einkaufen oder zur Arbeit fahren. Die Planer des Lidl-Neubaus scheinen das ähnlich zu sehen. Nicht einmal Fahrradständer gibt es. Für wen auch? Ein guter Freund von mir pflegt zu sagen: „Ich laufe keine Strecke, die länger ist als mein Auto.“ Ich vermute, das gilt genauso für die seltsame Vorstellung, solche Wege mit dem Drahtesel zurückzulegen.

Prioritäten richtig setzen

Auch was die Einkaufswagensituation betrifft, wurde im neuen Markt der richtige Schwerpunkt gesetzt. Schnäppchenjäger und Familien-Großeinkauf-Wochenend-Erlediger können sich aussuchen, ob sie einen der rollenden Gitterkörbe aus der Tiefgarage holen oder im Eingangsbereich abschließen möchten. Natürlich nehme ich einen von denen, die direkt neben den Parkplätzen deponiert sind. In sechs nebeneinander angeordneten Reihen kann ich ganz entspannt einen Einkaufswagen abschließen, ohne dass jemand lange warten muss, bis ich damit fertig bin.

 

Gleich mehrere Reihen an Einkaufswagen sorgen für Beschleunigung. Foto: Junia Greb-Georges

Augen auf vor dem Einkauf

Wer die falsche Wahl trifft (oder einer dieser armen Fußgänger ist) und die Eingangsbereichs-Option wählt, steht dort mitunter lange. Die Wagen sind so angeordnet, dass sich immer nur eine Person ungestört einen solchen organisieren kann. Sind es mehr Menschen, gibt es Gedrängel. Ich freue mich auf Weihnachten. Wenn drinnen die Hütte brennt, werde ich als Autofahrerin klar im Vorteil sein und mir entspannt meinen Einkaufswagen aus der Tiefgarage organisieren.

 

Im Innenbereich sind die Wagen weniger luxuriös ausgerichtet. Foto: Junia Greb-Georges

Jeder und jede wie er oder sie es mag

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin tolerant. In meiner Welt soll jeder nach seiner Fasson glücklich werden – solange mir niemand beim Einkauf in die Quere kommt. Wie wäre es, in bestimmten Supermärkten nur Autofahrern Zugang zu gewähren? Schließlich gibt es auch Hotels nur für Erwachsene. Fahrradfahrer können von mir aus die nahegelegene Aldi-Filiale für sich haben. Bei der Konkurrenz nebenan wird Bewegung großgeschrieben. Rolltreppen sucht man dort vergebens. Dafür hat Aldi Fahrradständer vor der Tür – Dinge, die man in meiner Welt nicht braucht. Der perfekte Ort also für ADFC-Mitglieder. Ein schlauer Schachzug von Lidl, den Markt gleich so zu bauen, dass Fahrradfahrer gar nicht erst auf die Idee kommen, sich dorthin zu verirren. Mich hingegen findet man da, wo ich meine Seelenverwandten vermute. Im Lidl-Autofahrer-Paradies schiele ich zwischen den Sonderangeboten nach Manja Schreiner und Ulf Poschardt. Im Stillen denke ich: „Was für ein schlauer Schachzug der Bauherren, den Markt gar nicht erst so zu bauen, dass Fahrradfahrer zu erwarten sind.“ Dann muss auch niemand über § 49 der Bauordnung für Berlin nachdenken. Oder die Bauherren haben den anderen Weg aus der Misere gewählt. Sie wissen schon: Geld regiert die Welt. So oder so: Lidl hat einen Weg gefunden, mich als passionierte Autofahrerin glücklich zu machen und sich von anderen Supermärkten abzugrenzen.

 

Hier würden bei der Konkurrenz Fahrradständer stehen. Foto: Junia Greb-Georges

Einkäufer sind ihres eigenen Glückes Schmied

Im neuen Discounter meiner Wahl hörte ich neulich jemanden fluchen. Wir standen gleichzeitig im Kassenbereich in unterschiedlichen Schlangen. Als alle meine Einkäufe über das Band gerutscht waren und ich sie direkt von dort flugs wieder in den Einkaufswagen geschoben hatte, sah ich einen Mann mit Fahrradhelm am Rucksack, der lautstark auf die Kassiererin einredete. Wieso es in einem neu gebauten Lidl-Markt mit einer solchen Größe keine Fläche zum Einpacken der Einkäufe gebe, ärgerte er sich. Und dann kam er richtig in Fahrt.

 

Der Bereich hinter den Kassen wurde nicht unnötig mit Einpackflächen zugebaut. Foto: Junia Greb-Georges

Team Rolltreppe

Dass man die Rolltreppe nutzen müsse, gefiel ihm gar nicht. Wenn man keinen Einkaufswagen benötige und in Eile sei, könne man nicht zügig links an den anderen Konsumenten vorbeigehen. Stattdessen müsse man hinter diesen warten, weil neben den Menschen mit Wagen nicht ausreichend Platz sei. In diesem Moment war ich raus. Wer es eilig hat, kann schließlich die Zeit wieder reinholen, indem er später stärker auf das Gaspedal drückt. Und überhaupt: Wie kann man ohne Einkaufswagen einkaufen gehen? Der Lidl-Neubau ist nicht dafür gemacht, nur schnell ein paar Kleinigkeiten einzukaufen. Das sieht man schon daran, dass es keine Einkaufskörbe gibt, sondern nur Einkaufswagen mit viel Platz.

Optionen richtig nutzen

Kurz war ich versucht, Verständnis zu empfinden. Platz gäbe es in der Tat genug, um entsprechende Vorrichtungen zum Verstauen der Lebensmittel in Taschen oder Rucksäcken einzubauen. Doch lange dauerte es nicht, bis ich zur Besinnung gekommen war. Schließlich ist der werte Herr selbst schuld. Er hätte mit dem Auto zum Einkaufen fahren können. Oder zu Aldi gehen. Da hätte er zusätzlich einen Platz zum Abstellen seines Fahrrads gefunden. Und vielleicht sogar ein Schließfach für seinen neongelben Fahrradhelm.

Junia Greb-Georges