Vorschlag von Felicia Fürst: Das Strandrestaurand Lido erhält im Entwurf der Studentin eine große Showküche als Herzstück. Durch die Beibehaltung der Bestandswände entsteht eine Wegführung durch den gesamten Innenraum, welche die Konzeptidee des Rundgangs im Außenraum aufgreift. | Foto: Hochschule Darmstadt

 

Zurück in die Zukunft – die seit Mitte der 1990er Jahre verfallende Anlage des ehemaligen Restaurants Lido im Strandbad Wannsee soll wachgeküsst werden. Ganz im Sinne der ursprünglichen Idee mit Projekten, die jungen Menschen Perspektiven eröffnen. Studierende der Hochschule Darmstadt haben dazu Konzepte entwickelt. Sie werden ab 31. August zwei Wochen lang in einer Ausstellung präsentiert.

Ein Gastbeitrag von Prof. Carsten Gerhards, Hochschule Darmstadt, Fachbereich Architektur

Quo vadis Strandbad? Die Lösung liegt im Blick zurück

Seit über 95 Jahren lockt das legendäre Strandbad ganz Berlin in die Bucht des Wannsees. Trotz der ungebrochenen Beliebtheit steht heute mehr als die Hälfte des denkmalgeschützten Ensembles ungenutzt leer. Während sich jeden Sommer bis zu 10.000 Badende täglich am Sandstrand erfreuen, verfällt wenige Meter dahinter ein einzigartiges Baudenkmal – und damit eine Raumressource mit großem Potenzial.

 

Das Innenleben des Strandrestaurants Lido heute | Foto: Clemens Poloczek

 

Als vor genau hundert Jahren die Stadt das Strandbad übernahm, hatte der sozialdemokratische Strandbaddirektor Hermann Clajus eine Vision: einen Erholungsort zu schaffen, an dem alle sozialen Schichten willkommen sind. Er öffnete das Bad für alle, organisierte Essensausgaben und Ferienlager für Kinder aus den Mietskaserenen der Arbeiterbezirke. Stadtbaurat Martin Wagner und Magistrats-Oberbaurat Richard Ermisch schufen 1929 bis 1931 ein ikonisches Gebäude im Stil der Neuen Sachlichkeit. Ein weitläufiges „Weltstadtbad“ für die moderne Körperkultur der Weimarer Republik, mit Licht, Luft und Sonne für alle. Mit seinem 1,3 km langen und 80 Meter breiten Strand und jährlich über einer Million Badegästen war es seinerzeit das größte Binnenfreibad Europas. Clajus, dem nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Entlassung und Verfolgung drohten, nahm sich im März 1933 das Leben.

Soziale Nachhaltigkeit als Leitbild

Studierende der Hochschule Darmstadt haben den Bestand sorgfältig analysiert und die Funktionen, die sich aus dem Thema „Lernort“ ergaben, organisch in die Anlage und die natürliche Topografie integriert. In den Entwurfskonzepten sollte eine Vielfalt an öffentlichen Räumen für alle Generationen entstehen.

Hermann Clajus‘ Idee des „Volksbads“ findet in den Entwürfen der Studierenden seinen Widerklang. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Auseinanderdriftens der Gesellschaft soll das Strandbad Wannsee wieder zu einem Ort des Wir-Gefühls werden.

Investition in Freiheit, Freiraum, Frieden und Zeit

Das neue Strandbad soll zu einem Lernort und Treffpunkt für Jugendliche und junge Erwachsene werden. In Anlehnung an die Werkstätten für die Instandhaltung des Strandbads, die es früher auf dem Gelände gab, soll eine Bauhütte entstehen, die es Jugendlichen ermöglichen soll, eine Ausbildung in verschiedenen Gewerken des Bauhandwerks, aber auch in der Gastronomie, als Gärtner, als Bademeisterin, Rettungsschwimmerin, Fitnesscoach und Parkranger  zu absolvieren. So kann das Strandbad sukzessive unter Anleitung von professionellen Handwerkerinnen und Handwerkern saniert und betrieben werden.

Gemeinsam lernen, gemeinsam arbeiten und gemeinsam Verantwortung für den Betrieb des Strandbads zu übernehmen, das ist die Idee. Ein Projekt, von dem nicht nur die Jugendlichen profitieren, sondern die ganze Gesellschaft.

 

„Neue Mitte“ nennt die Studierende Katrin Fucks ihre Collage. Sie knüpft an den Gedanken eines Bades für alle Menschen an. Die Gastronomie ist als zentraler Treff-, Schnitt- und Sammelpunkt geplant. | Foto: Hochschule Darmstadt

 

Doch nicht nur jüngere Menschen sollen an diesen Ort kommen. Es soll eine Vielfalt an öffentlichen Räumen für alle Generationen entstehen: Werkstätten, Seminarräume, ein kleines Theater und Kino, eine Bibliothek, Räume zum Sport machen, Räume zum Kochen und Gärtnern, ein Outdoor- Fitnessstudio, eine Sauna etc. So könnte das Strandbad im Sommer und Winter genutzt werden. Ergänzt werden könnten diese Funktionen um einen Ort des gemeinschaftlichen Wohnens. Dies könnte ein Wohnheim für Jugendliche und Erwachsene aus verschiedenen sozialen Milieus sein, die in einer Wohngemeinschaft zusammenleben könnten, eine Art Lehrlings-Dorf, ergänzt um Ferienappartements.

Diese Einrichtungen könnten sich oberhalb des Restaurants Lido befinden, dort, wo Martin Wagner, der damalige Stadtbaurat Berlins, und Richard Ermisch im Masterplan von 1928 einen Hotelbau vorgeschlagen hatten. Lernort, Gastronomie und Wohnanlage könnten von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen betrieben werden. Vorbilder gibt es bereits, beispielsweise das „Magdas“ in Wien, ein Hotel, das von Geflüchteten betrieben wird. Vorbild für die Bauhütte ist die Burgbauhütte Burg Ludwigstein in Hessen. Im weitesten Sinne würde, wer in einen solchen Lernort investiert, in Freiheit, Freiraum, Frieden und Zeit investieren. Das, was wir heute als soziale Nachhaltigkeit beschreiben würden.

 

Das Strandrestaurant Lido, ein verfallendes Denkmal. | Foto: Clemens Poloczek

 

Kochschule und Gastronomie im Lido

Das Strandrestaurant war in der ursprünglichen Planung Martin Wagners und Richard Ermischs der Gelenkpunkt, der zwischen den südlichen und nördlichen Umkleidehallen vermittelte. Es war das größte Bauwerk im Ensemble und bot im Innen- und Außenraum Platz für 2500 Menschen. Formal hebt es sich in seiner Geometrie von den langgestreckten quaderförmigen Hallengebäuden ab. Ein Wandelgang umschließt einen Vorhof in Form eines ellipsoiden Rondells, der im Süden und Norden seinen Anschluss an die Promenaden vor den Umkleidehallen findet. Auf dem Dach des Strandrestaurants befand sich eine Terrasse, die man über den oberen Wandelgang und durch seitliche Treppenanlagen erschließen konnte. Vor dem Restaurant lag leicht erhöht eine weitere Terrasse. Der Vorhof diente als Biergarten und wurde im Winter als Spritzeisbahn hergerichtet. Der Gastraum erstreckte sich über die gesamte Länge des Gebäudes. Er führt die aus Kreissegmenten bestehende Geometrie des Baukörpers fort. Eine Fensterfront mit vertikal verschiebbaren Scheiben erlaubte einen ungehinderten Blick auf den Strand und den Wannsee. Im Innenraum besteht das Restaurant aus drei Raumschichten: Einem Lichthof, einem Küchentrakt mit vorgelagertem Kellnergang und einem Gastraum.

Als Teil des Lernortes Strandbad Wannsee soll es Raum für eine Kochschule und eine Gastronomie bieten, in der die Jugendlichen eine Ausbildung zum Koch oder als Servicekraft machen können. Gleichzeitig soll es auch unter Anleitung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen betrieben werden. Die Studierenden sollten sich im Rahmen ihrer Bachelor-Abschlussarbeit Gedanken darüber machen, wie sie den Gebäudebestand behutsam umnutzen können, um den Charakter des Gebäudes zu erhalten und gleichzeitig im Sinne der Strategie des Weiterbauens selbstbewusst mit einer neuen Nutzung zu überlagern, die neue Wege- und Blickbeziehungen zwischen den einzelnen Raumschichten schafft.

 

Aus den Umkleiden wird eine Atelierhalle. Die Studierenden Tino Richter und Mia Kluge denken an ein lebendiges Zentrum für Kultur und Begegnung. | Foto: Hochschule Darmstadt

 

Umkleidehallen: Neue Wege zum Sonnendeck

Um den Besucherandrang des Strandbads zu bewältigen, wurden 1929 bis 1930 neue Umkleidehallen errichtet. Diese waren, dem Geländeverlauf folgend, auf zwei Geschossen organisiert. Vom Eingangsbereich kommend, wurde das obere Geschoss und der Wandelgang, der alle Umkleidebereiche und das Strandrestaurant miteinander verband, über eine Treppenanlage erschlossen. Im Obergeschoss befanden sich in jeder Umkleidehalle 74 Dauerkabinen und 32 Wechselkabinen mit Garderoben, zwei Sammelumkleiden sowie Duschen und Fußbäder. Vom oberen Wandelgang aus konnten die Besucher auch die Sonnendecks mit Outdoor-Duschen erschließen, die sich auf den Dächern der Umkleidehallen befanden. Im Erdgeschoss befanden sich weitere Sammelumkleiden mit Ablagefächern sowie eine Ladenzeile mit Kiosken. Die Umkleidehallen wurden im Erdgeschoss über einen Kolonnadengang erschlossen, der sich unterhalb desoberen Wandelgangs befand und bei Regen als Unterstellmöglichkeit diente.

 

Umkleidehallen, heutiger Zustand | Foto: Clemens Poloczek

 

Die Umkleidehallen sind quaderförmige Gebäude aus einer Stahlskelettkonstruktion mit Ziegelverkleidung. Sie haben eine Länge von 48 Metern, einer Breite von 12 Metern und eine Höhe von ca. 8 Metern und eine Grundfläche auf zwei Geschossen von ca. 1000 qm. Von ihrer innenräumlichen Struktur her bestehen sie aus zwei Raumschichten in Längsrichtung, die von einer mittigen Stützenstellung voneinander getrennt werden. Räumlich sind die Hallen also nutzungsneutrale Strukturen, in die man vielfältige Funktionen integrieren kann.

Carsten Gerhards

 

Die Ideen der Studierenden der Hochschule Darmstadt werden im September der Öffentlichkeit präsentiert.

Ausstellung Wanna see Wannsee?
31. August – 15. September 2024
Restaurant Lido
Strandbad Wannsee
Wannseebadweg 25
14129 Berlin

Geöffnet während der Öffnungszeiten des Strandbad Wannsee. Für den Zutritt zum Strandbad ist ein amtliches Ausweisdokument erforderlich.