Die Gesundheitsministerin a.D. appellierte an die Zuhörer, sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen. Foto: Gogol

Jeder Organspender kann sieben Leben retten. Diese Zahl überraschte viele der Zuhörer, die am Dienstagabend in den Ratskeller Zehlendorf gekommen waren, um mit der Gesundheitsministerin a.D., Ulla Schmidt, zum Thema „Organspende – eine Bürgerpflicht?!“ zu diskutieren. Eingeladen hatten die Bürgerstiftung Steglitz-Zehlendorf und die SPD-Arbeitsgruppe 60 plus. Rund 30, zumeist ältere Zuhörer waren gekommen.

Schmidt erinnerte sich noch gut an die Diskussionen um das Thema Organspende Anfang der 1990er Jahre. Viele Ängste seien da aufgestiegen, denn in unserer Kultur sei das Thema Tod noch immer ein Tabu. Sie habe Verständnis dafür, dass viele Skrupel hätten, einen Organspendeausweis auszufüllen, sagte sie. Auch für sie sei es schwierig gewesen, darüber nachzudenken und sich zu positionieren. Bin ich wirklich tot? Lässt man mich vielleicht sterben, nur um an mein Organ zu kommen? Fühlt man noch etwas, auch wenn man hirntot ist? All diese Fragen und Ängste bewegten damals und bewegen auch heute noch die Menschen, weiß Schmidt, die für die SPD im Bundestag sitzt. Für viele, vor allem ältere Menschen schwinge in der Diskussion auch immer die deutsche Vergangenheit mit, für andere sei es eine Frage der Religion, sich keine Organe entnehmen zu lassen, sie aber auch nicht anzunehmen. Schon aus letzterem Grund sei eine Pflicht zur Organspende nicht durchzusetzen. Stattdessen habe man sich in Deutschland für eine erweiterte Zustimmungslösung entschieden.

Täglich sterben in Deutschland drei Menschen, weil Organe fehlen, so Schmidt. Die Deckungsquote liege bei 70 Prozent. Als aber 2010 der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier seiner Frau eine Niere spendete, steigerte sich die Spendenbereitschaft. Das änderte sich mit den Skandalen um verkaufte Organe der vergangene Wochen. Von durchschnittlich 100 Spenden im Monat sank die Zahl dramatisch auf 40 ab, so Schmidt. Und so ist Deutschland, das mit weiteren sechs Ländern in der Stiftung Eurotransplant zusammengeschlossen ist, die über die Organvergabe entscheidet, ein Empfängerland. Es erhält mehr Organe als es spendet.

Deshalb appellierte Schmidt an alle, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, mit Familien und Freunden darüber zu diskutieren. Organspende sei ein Akt der Mitmenschlichkeit. Man helfe, Leben zu retten. „Wenn ich tot bin, brauche ich meine Organe nicht mehr“.

Unterstützung bekam Schmidt von Professor Dr. Uwe Baer, der im Publikum saß. Auch er sagte, dass es wichtig sei Ängste zu nehmen. „Ich habe seit 35 Jahren einen Organspendeausweis – und ich lebe noch“, sagte er und ergänzte „Mich hat noch keiner von der Straße weggefangen“. Der langjährige Chirurg weiß um die diffusen Ängste rund um das Thema. Doch kein Arzt lasse einen Patienten sterben, nur um an dessen Organe zu kommen. „Die kämpfen um ihre Kranken“, betonte er. Zudem werden an dem Prozess unabhängig voneinander verschiedene Ärzte beteiligt.

Viele im Publikum zeigten sich bewegt und beeindruckt von den Wort vom Schmidt und Baer. „Ich möchte, dass man mir hilft“, sagte einer der Zuhörer. Er werde darüber nachdenken und mit seiner Familie diskutieren, sagte er. Andere hatten praktische Hinweise, wie etwa die Einrichtung einer zentralen Stelle, bei der man sich als Spender melden kann. Eine andere Zuhörerin regte an, mit dem Thema auch in die Schulen zu gehen, um junge Leute für das Thema zu sensibilisieren.

Andere hatten Frage. Ob man nicht durch Prävention der geringen Spendenbereitschaft entgegen wirken könne, wollte ein Gast wissen. Wie sich Organspende mit dem Eid des Arztes, Leben zu retten, vertrage, ein anderer. Schmidt, die unter anderem im Aufsichtsrat der Charité sitzt und Schirmherrin der Deutschen Hospiz- und PalliativStiftung ist, beantwortete alle Fragen nach eigenem Wissen. Und vielleicht hat sie an diesem Abend auch wieder ein paar Spender gewonnen.

(go)