In der Petruskirche am Oberhofer Platz ist derzeit eine Ausstellung mit Werken der Künstlerin Monika Bolte zu sehen.

Zur Vernissage sprach Ulrike Meyer. Wir veröffentlichen die Laudatio im Wortlaut:

Auf viele Menschen hat ein Friedhof eine besondere Faszination: Sei es wegen der historischer Architektur, moderner Gestaltung oder wegen der Geschichten, die sie erzählen. Und so paradox es auch klingen mag, der Friedhof ist auch ein Ort des Lebens und nimmt dem Tod den Schrecken: hier verweilen Menschen im Gespräch mit anderen Trauernden, hier gehen Mütter mit ihren Kinderwagen spazieren und so manch einer sitzt lesend auf einer Bank in der Sonne. 

Für die Verstorbenen jedoch ist der Friedhof vor allem eins, die letzte Ruhestätte und für die Hinterbliebenen ein Hort, wo ihr Schmerz und ihre Trauer ein Zuhause gefunden haben. Der Friedhof ist ein Ort, an dem es den Hinterbliebenen möglich ist, in meist absoluter Stille und fern von ihrem Alltag, in dem sie trotz ihrer Trauer funktionieren müssen, innezuhalten und sich mit ihrem Leid, ihrer Trauer und ihren Erinnerungen auseinanderzusetzen.

 

 

Dieser Ort ist also ein Schutzraum für die Toten ebenso wie für die Lebenden – eine Art Parallelwelt, in der die Zurückgeblieben ihrem Zwiegespräch mit den Toten auf vielfältige Art ihren Ausdruck verleihen: neben Gebeten sind es Inschriften, Blumenschmuck, Grablaternen, Schrifttafeln, Herzen oder Engel. Besonders Engel, auf historischen Friedhöfen dargestellt als weibliche Akte,  haben als dekorativen Grabschmuck eine besondere, lange Tradition. Sie sind kunstvolle Steinmetzarbeiten und exquisite Bildhauerkunst; Zeitzeugen der Hochblüte des Engelkults in der Friedhofs- und Grabmalkunst um die Jahrhundertwende und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Zugleich sind sie in Stein und Marmor gefrorener Schmerz und stummes Schreien. Gleich Klagefrauen helfen sie bei der Bewältigung des Leides und stellvertretend für die Hinterbliebenen, versinnbildlichen sie in meist gebeugter Haltung, jedoch mit  Anmut und Hingabe, in Würde und Stolz den Schmerz und die Trauer der Familien. Die Trauergesten der Figuren sind „ewig“, sie weinen oder singen stumme Klagelieder, auch dann noch, wenn der Prozess der Verwitterung eintritt. Wenn Moose die Statuen überziehen und die Steine zu bröckeln beginnen, begleiten sie die Toten immer noch. Es ist nicht der Schmerz, der sie bricht, es sind die Zeichen der Zeit.

Hinter jedem Grabstein, hinter jeder Statue verbirgt sich ein Schicksal, eine Familiengeschichte, behütet von einer Trauernden aus Stein oder Marmor, beschützt von einer Frauenfigur, die voller Hingabe den zu Stein gewordenen Schmerz verkörpert – mal mit oder ohne Flügel, mal versunken, kranzlegend oder blumenstreuend. Sie sind von jugendlicher Schönheit und Reinheit, verkörpern das Leben und stehen so als Gegenpol zum Tod. Durch die Personifizierung der Trauer mit dem Bild der schönen Frau oder eines erotisch anmutenden Schutzengels konnten auch die Schrecken des Todes gemildert und verdrängt werden. 

So wundert es nicht, dass sie nicht wie die alten Klageweiber in grobem Sackleinen gekleidet sind, sondern in fließende Stoffe – meist jedoch sind sie völlig nackt und schutzlos, jeglichem Zeichen zivilisatorischem Lebens entledigt. Immer den Zauber weiblicher Erotik verströmend, schmücken die Skulpturen junger entblößter Weiblichkeit so manches Grab und erinnern die Hinterbliebenen an die Fülle des Lebens.

 

 

Es ist dieser „zeitlose Dialog zwischen Eros und Tod“, wie Monika Bolte sagt, „wir sehen Bilder des Todes und der Trauer, zugleich aber sehen wir die Schönheit des weiblichen Körpers“. Diese sogenannte ‚Friedhofserotik‘, diese Schönheit des weiblichen Körpers in den Grabplastiken fasziniert Monika Bolte seit vielen Jahren. Als passionierte Fotografin erkundet sie in ihrer Freizeit die Parallelwelt der Friedhöfe, in ganz Deutschland beispielsweise in Berlin und Hamburg oder auch im europäischen Ausland, wie in Wien, Paris oder Genua. Auf den Friedhöfen hat Monika Bolte ihr Thema gefunden. Mit ihrer Kamera auf der Pirsch ist sie vor allem auf der Suche nach figuralen Darstellungen weiblicher Körper auf den Gräbern.

Ihre Motive transformiert sie später zu den Gemälden, die zur Zeit in der Petruskirche zu sehen sind. Wir sind umgeben von ruhigen Bildern. Sie sind „gemalte Abbilder“ der Fotografien und bis auf wenige Ausnahmen meist in gedeckten Farben, Erd- oder Steintönen, ähnlich den Farben bzw der Patina der Figuren auf den Gräbern. Sie alle haben ein zentrales Thema, den weiblichen Körper, in Boltes Darstellungen sind sie jedoch völlig losgelöst von ihren sonstigen sepulkralen Attributen. Nichts erinnert mehr an die Funktion als Grabfigur. Zentral beherrscht die figurale Schönheit des weiblichen Symbols der Vergänglichkeit das Bild.

Die Wirkung der Bilder entsteht durch den collagierten Untergrund aus unterschiedlichsten Papiermaterialien. Mit Aquarell, Tinte, Tusche, Acryl, Wachs oder Buntstiften werden sie bearbeitet und die Figuren wachsen aus dem Untergrund heraus. Für Monika Bolte, die sich als Autodidaktin bezeichnet, hat diese spezifische, auf Collage basierte Mischtechnik für sie  eine „neuartige und faszinierende Dimension künstlerischen Schaffens eröffnet“.

In eine besinnliche oder gar esoterische Ecke möchte Monika Bolte mit ihren Bildern jedoch nicht gedrängt werden. Die Künstlerin bejaht voll und ganz das Leben. Besonders während ihres Malprozesses, bei dem sie sich oft von der kraftvollen und leidenschaftlichen Sängerin Janis Joplin begleiten lässt und getragen von den Zeilen von Mascha Malenko: „Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang, Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind. Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?“ Wir aber, die Hinterbliebenen leben von dem „Was bleibt“, von den zahlreichen Erinnerungen unserer Verstorbenen, von ihrem Andenken auf dem Friedhof und in den Bildern von Monika Bolte.

Text und Fotos: Ulrike Meyer

 

Ausstellung „Was bleibt“

Bilder von Monika Bolte

Bis 31. Dezember 2024

Petruskirche, Oberhofer Platz, 12207 Berlin

https://www.petrus-kultur.de/ausstellungen

Die Türen Petruskirche sind jeden Mittwoch und Samstag von 10 bis 13 Uhr für Besucherinnen und Besucher geöffnet sowie vor oder nach jeder Kulturveranstaltung.