Alice ist dem Konsumrausch verfallen. Foto: Andreas J. Etter

Vollkommen durchgedreht, verrückt und absolut chaotisch – wer sich auf das Abenteuer „Alice im Wunderland“ im Forum Steglitz einlässt, erlebt eine rasante Reise durch das Shoppingcenter und die Höhen und Tiefen des alltäglichen Konsumwahnsinns.

Bereits vor dem Forum beginnt das Spiel. Alice ist eigentlich in Eile, sie hat ein Vorstellungsgespräch. Sie telefoniert aufgeregt und laut – und zieht damit die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich. So wird es noch häufig sein während des 80-minütigen Schauspiels der Theatergruppe MS Schrittmacher. Denn die Truppe agiert nicht im geschlossenen Center, sondern mittendrin im täglichen Gewühl der Kauflustigen, der Windowshopper und jener, die sich dort nur so die Zeit vertreiben.

Wie auch im Roman von Lewis Carroll ist es ein Kaninchen, das Alice mitnimmt ins „Wunderland“ Forum, das zunächst in den Katakomben liegt. Plötzlich findet sich Alice dort wieder, wo die Weihnachtsdekoration und die Plakate der Ausstellung über die Schloßstraße lagern, begraben von Schaufensterpuppen-Armen und -Beinen. Dort ist das Reich von Herrn Maus, der seine Puppen mit Namen anspricht, sich mehr Sorgen macht um seine Plastikmenschen als um seine reale Besucherin. Er ist auch, der – notgedrungen – Alice Zutritt verschafft zur Wunderwelt. Und dort begegnennn wir ihnen allen wieder, den vertrauten Gestalten aus Carrolls Geschichte: der Raupe als Verkäuferin, der Grinsekatze als Securitymann. Auch die Geschichte von der falschen Suppenschildkröte greift Regisseur und Mastermind der Gruppe, Martin Stiefermann auf. In der wunderbar abstrusen Lesung aus dem Tagebuch eines alternden Soapstars, der selbst nicht erkennt, wie überflüssig er geworden ist in einer Gesellschaft, die dem Jugendwahn erlegen ist. Was auch Alice im Stück mehrmals zu hören und zu spüren bekommen wird.

Nach etlichen Stationen in den Geschäften des Forums, bepackt mit zahlreichen bunten Tüten, willenlos dem Kaufrausch ergeben, weiß die gestresste alleinerziehende Mutter gar nicht mehr, wer oder was sie eigentlich ist. „Wer ich war, heute früh beim Aufstehen, das weiß ich schon, aber ich muss seither einige Male vertauscht worden sein“, gesteht sie. Doch vielleicht bringt noch mehr Einkaufen die Heilung, verleiht der Mitvierzigerin eine neue, junge, dynamische Persönlichkeit?

Schließlich trifft Alice auch auf den König (Centermanager) und die Königin (Distriktleiterin). Ihr „köpft sie“ aus Carrolls Roman übersetzt Stiefermann zum „Kopf ab“ der modernen Gesellschaft, zu einem „Ihr seid gefeuert“.

Der Gerichtsprozess erwartet Alice schließlich an der Warenausgabe von innova: Paybackkarte oder Gutscheine? Null-Prozent-Finanzierung? Darfs noch etwas mehr sein? Nicht für Alice. Sie wacht schließlich auf.

Es ist dieses besondere Mischung aus Spiel, Musik, Tanz und Wahnsinn, die nicht nur Zuschauer in ihren Bann zieht, sie immer wieder zum Schmunzeln anregt, sondern auch „normale“ Einkäufer stehen und staunen, ja sogar eine Weile zuschauen lässt.

Stiefermanns Stück ist keine platte Kritik am Konsum, sondern er zeigt die leichte Verführbarkeit, die Versprechen von Schönheit und Jugendlichkeit, denen doch so viele gerne lauschen. Und dass in einem selbst auch ein wenig dieser Alice steckt, merkt man spätestens dann, wenn man in den Läden zwischendurch seinen Blick über die Angebote schweifen lässt oder sich nach dem Stück selbst noch kurz dem Bummeln hingibt – wenn man denn schon einmal da ist.

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Weitere Vorstellungen von „Alice im Wunderland“ gibt es am 2. und 3. sowie vom 6. bis 10. August jeweils um 15 und 18 Uhr im Forum Steglitz. Treffpunkt ist vor dem Eingang. Karten kosten 19,50 Euro, ermäßigt 11,50 Euro. Empfohlen ist das Stück ab zwölf Jahre.

(go)