Foto: Daniela von Treuenfels

 

Vor rund 80 Gästen verhandelte am Mittwoch der Kulturausschuss der BVV erneut einen neuen Namen für die Steglitzer Treitschkestraße. In seiner vorigen Sitzung hatte das Gremium mehrheitlich beschlossen, dass die Straße zukünftig Nach Betty Katz benannt werden soll.

Auf Wunsch der CDU war das Thema nochmals aufgerufen worden. Bei der Abstimmung über einen Antrag des Ausschusses, der im Plenum verabschiedet werden sollte, hatten die Ausschussmitglieder der Fraktion nicht teilgenommen. Sie hielten das Verfahren nicht für zulässig, weil die Vorlage nicht Teil der Tagesordnung war. Das ist nichts Ungewöhnliches oder Verwerfliches; bei wichtigen Anträgen, die erst in einer Beratung formuliert werden, kann es sinnvoll sein, zunächst das Anliegen in der gesamten Fraktion zu diskutieren. Die CDU-Bezirksverordneten hatten sich jedoch auch einer inhaltlichen Debatte verweigert. Auf die Vorschläge von Anwohnern, der Kirchengemeinde oder den anderen Fraktionen waren sie mit keinem Wort eingegangen (die Stadtrand-Nachrichten berichteten).

Umso spannender war erwartet worden, wie sich die Konservativen nun äußern würden, nachdem sie die die Ideen zur Umbenennung näher betrachtet hatten. Ein Vorgeschmack auf die Haltung der Partei wurde vor Weihnachten bekannt. Die Abgeordnete Claudia Wein teilte in einem Schreiben „im Namen der CDU Steglitz-Zehlendorf“ an die Anwohner mit, „dass wir die Umbenennung der Treitschkestraße entschieden ablehnen.“ Man möge doch die Sitzung am 8. Januar besuchen, „um in den Austausch zu treten und Ihre Meinung zu artikulieren“.

Die Menschen folgten dem Aufruf, aber anders als von der CDU erwartet. Die Gegner der Umbenennung waren deutlich in der Minderheit, und sie wurden im Verlauf der Veranstaltung immer stiller.

Zur Enthaltsamkeit der Treitschke-Befürworter haben möglicherweise die Beiträge der beiden Sachverständigen beigetragen, die von den Fraktionen der Zählgemeinschaft aus SPD, Grünen und FDP eingeladen worden waren.

Das Anlegen heutiger Maßstäbe einer Straßenbenennung müsse „immer genau angeschaut werden“, sagte Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, „besonders wenn die Personen vor der NS-Zeit gelebt und gewirkt haben“. So könne man über eine Ehrung von Richard Wagner, Hoffmann von Fallersleben oder Martin Luther, alle bekanntermaßen keine Freunde des Judentums, kontrovers diskutieren. Bei Heinrich von Treitschke jedoch – „seine“ Straße wurde vor fast 120 Jahren benannt – sei die Bewertung „eindeutig“. Schon zu Lebzeiten sei der Historiker ein glühender Antisemit und geistiger Brandstifter gewesen. Er habe die Grundlage gelegt für den sich ausbreitenden Judenhass, Juden habe er als Fremdkörper in der deutschen Gesellschaft gesehen. „Auch heutige Antisemiten berufen sich auf diese Ideologien“, so Klein.

Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde Berlin, ergänzte: 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz stelle sich die Frage, wie die Ehrung eines Antisemiten im Straßenbild noch möglich sei. Treitschke habe den Kern der Legitimierung von Antisemitismus gesetzt. Sein Satz vom Juden als „größtes Unglück“ wirke bis heute.

Die Sachverständigen hatten neben den rund 40 Lokalpolitikern noch weitere rund 80 interessierte Bürger als Zuhörer. So viele, sagte die Ausschussvorsitzende Katharina Concu (FDP), habe das Gremium noch nie gesehen.

Zum Beispiel: Gisela M., die sich als Historikerin und Anwohnerin vorstellte. Die Treitschkestraße sei unbedeutend, hier werde ein Popanz aufgebaut, es gebe Wichtigeres. Treitschke sei kein Rassist gewesen, sondern habe lediglich die jüdische Assimilation, also die Anpassung an das Deutschtum, befürwortet.

Dieser Haltung widersprach vor allem Sigmount Königsberg. Heinrich Von Treitschke habe im Gegenteil von den Juden erwartet, dass sie ihren Glauben und ihre Kultur komplett ablegen. Königsbergs Intervention war kurz und emotional. Vielleicht mit ein Grund, dass sich die Minderheit der Umbenennungs-Gegner kaum noch zu Wort meldete.

Zahlreiche Anwohner äußerten stattdessen ihre Zufriedenheit. So könne man Gästen den Straßennamen mit Stolz erklären, statt mit Rechtfertigungen. Oder die Wohnungskaufentscheidung endlich richtig finden. Begrüßt wurde auch, dass die Neubenennung der Straße nicht mehr, wie in vorangegangenen Jahren, den Anwohnern überlassen wird. Hier wohnen zwar 520 Menschen. Viel zahlreicher seien jedoch die Schülerinnen und Schüler, die die anliegenden Schulen besuchen, gab eine Frau zu bedenken – „welches Geschichtsbild soll hier vermittelt werden?“ Es sei gut, dass über einen Straßennamen die Allgemeinheit entscheide und nicht die Anwohnerschaft.

Und die CDU?

Claudia Wein, Autorin des Anwohnerschreibens, musste ihre Teilnahme krankheitsbedingt absagen. Die Parteienvertreter schauten der Debatte größtenteils wortlos zu. Die Treitschkestraße „ist ja nicht besonders groß“, erklärte das CDU-Ausschussmitglied Gabriele Grabowski. Mit einer Umbenennung werde das Vergessen gefördert. Information und Aufklärung sei gefragt, nicht das Auslöschen.

Die Kommunalpolitikerin gehört der BVV erst seit dieser Legislatur an. Möglicherweise hat der Linken-Politiker Dennis Egginger-Gonzales einen Punkt, wenn er sagt, die CDU-Vertreter im Ausschuss seien von ihrem Fraktionsvorsitzenden Thorsten Hippe „auf eine rechte Schleimspur geschickt worden“. Hippe, der Rechtsaußen unter den Konservativen, gehört der BVV seit 30 Jahren an und ist bekannt dafür, nicht nur die Ausschüsse im Griff zu haben, denen er vorsitzt. Auch seine Fraktion soll er stringent führen. Hippes Widerstand gegen die Umbenennung sei, so Egginger-Gonzales, „ein strategischer Fehler“. Die Ausschussmitglieder, die diese Haltung vertreten müssten, „können einem fast schon leidtun“.

Daniela von Treuenfels

 

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