Vom 1. bis 3. September findet zum ersten Mal ein Weinfest am Ludwig-Beck-Platz in Lichterfelde statt. Fünf Winzer aus deutschen, italienischen und österreichischen Anbaugebieten präsentieren ihre Weine.
Der Lichterfelder Weinbrunnen unterscheidet sich von seinem großen Bruder am Rüdesheimer Platz ganz wesentlich. Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf hat im Gegensatz zum Nachbarbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf keinen Partnerlandkreis, in dem Wein angebaut wird. Die Winzer am „Rüdi“ kommen alle aus dem Kreis Rheingau-Taunus, sie wechseln sich mit dem Verkauf ihrer Weine zwischen Mai und September an über 100 Ausschanktagen ab. Diese Tradition besteht seit 1967.
Zum Weinfest auf dem Beck-Platz muss niemand sein Essen selbst mitbringen, im Angebot sind Käsespätzle, Flammkuchen und Grillwürste. Selbstbedienung wird es auch nicht geben. Ein weiterer vielsprechender Unterschied zum „Rheingauer Weinbrunnen“: Auf dem Ludwig-Beck-Platz gibt es ‚Blues und Songs truly handmade‘ von „Confessin‘ the Blues“. Zum Programm der Musiker Thomas Rottenbücher, Matthias Opitz und Dirk ‚Blues‘ Rolle gehören auch Songs anderer Stilistiken und Eigenkompositionen im Singer/Songwriterstil.
„Weinbrunnen“ heißt das Lichterfelder Weinfest, weil der Platz einen Springbrunnen hat, sagt Claudia Scholz vom Verein Family & Friends. Die Organisation ist 2006 aus einer Initiative zur Rettung eines Spielplatzes entstanden und entwickelte sich zu einer Eventorganisation, die zum Ziel hat, Nachbarschaften durch attraktive Events und Kunstmärkte zusammenzubringen.
Berlin hat eine lange Tradition im Weinbau, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht. Damals wurde der Weinbau in der Region erstmals urkundlich erwähnt, und Berlin entwickelte sich zum Zentrum des Weinbaus in Brandenburg. Noch heute zeugen Straßennamen wie die Weinmeisterstraße von dieser Zeit.
Auch die Geschichte der Weinbrunnen im deutschsprachigen Raum reicht zurück bis ins Mittelalter. Basel besitzt seit 1448 einen Urbansbrunnen. Bis 1830 wurde an Urbans Geburtstag, dem 25. Mai, die Statue nach altem Brauch verkleidet und mit Blumen bekränzt. In seinen Händen hielt er je ein Glas Weiß- und Rotwein. Regnete es den ganzen Tag nicht in diesen Wein, war ein gutes Weinjahr zu erwarten.
1563 zog Maximilian II. als gewählter römisch-deutscher König von Frankfurt kommend in Wien ein. Eigens für den Einzug wurden drei Weinbrunnen aus Holz errichtet, aus denen insgesamt 5000 Liter Weiß- und Rotwein flossen. Der größte war zwölfeinhalb Meter hoch, und aus zwölf Röhren floss während des Einzugs roter und weißer Wein, welcher die Farben Österreichs symbolisieren sollte. Von der Höhe des Brunnens wurden schließlich noch Obst und Brot unter das Volk geworfen.
„Echte“ Weinbrunnen gibt es heute noch in Südeuropa an Pilgerwegen. Am Camino in Spanien befindet sich die Bodegas Irache. Das Weingut in der Region Navarra ist ein im 19. Jahrhundert geschlossenes Kloster am Jakobsweg und war im Mittelalter eine wichtige Pilgerherberge. Das Weingut pflegt auch heute noch den seit damals geübten alten Brauch, den Pilgern nach Santiago de Compostela aus einem „Fuente del Vino“ (Weinbrunnen) Wein anzubieten. Täglich werden 70 Liter Wein mit der Bitte um „sparsamen Genuss“ zur Verfügung gestellt, dennoch gehen viele Pilger leer aus.
Auf dem Cammino di San Tommaso in den italienischen Abruzzen findet sich das Weingut Dora Sarchese. Seit 2016 spudelt hier für Wanderer Wein aus einem Steinbecken. Wie in Spanien wird auch hier um eine Spende gebeten.
Brunnen, aus denen echter Rebensaft sprudelt, waren und sind die Ausnahme. Eher selten sind auch Weinbrunnen, die den Wein verbildlichen. In Güglingen am Neckar beispielsweise steht eine Stele, aus der Kugelfrüchte, Trauben, Brüste und zwei Köpfe entwachsen (1979). In Koblenz steht der restaurierte Traubenträgerbrunnen, der aus Anlass der „Reichsausstellung Deutscher Wein“ 1925 als Ehrenmal des Deutschen Weins aufgestellt wurde.
Die Nationalsozialisten instrumentalisierten das Marketing für den deutschen Wein zur Verbreitung ihrer Ideologie. Erntedankfeste wurden zu Propagandaveranstaltungen zu Ehren „des deutschen Bauern“. Weinfeste gerieten zu Huldigungsveranstaltungen für „Führer, Volk und Vaterland“. In dieser Zeit entstanden auch „Weinbrunnen“ wie der Tatzelwurm-Brunnen in Kobern an der Mosel (1934) oder der Weinbrunnen in Königswinter.
Werbung für den edlen Saft zu machen, das war in der Nachkriegszeit Aufgabe des weltweit einzigen Weinministers, des rheinland-pfälzischen Kabinettsmitglieds Oskar Stübinger. Der CDU-Politiker begriff sich als Lobbyist der Winzer, die ihre Tropfen damals noch „Nackenheimer Fritzenhölle“ oder „Fröhliche Moselpost“ nannten. Der studierte Landwirt Stübinger hatte Verständnis für die Weinbauern und ihr großes Interesse daran, bis zum nächsten Herbst die Fässer zu leeren. Von ihm ist der Satz überliefert: „Es muss mehr gesoffen werden“. Der Minister hatte auch die Idee, jedem Bundeswehrsoldaten täglich einen Viertelliter Wein einzuschenken.
Ob Weinfest oder Weinbrunnen: Die geselligen Veranstaltungen zwischen Mai und September haben bis heute den vornehmlichen Zweck, die Weinkeller zu leeren. Sie sind, wenn man so will, die fröhlichsten Räumungsverkäufe des Landes.
Na denn Prost!
Weinbrunnen Ludwig Beck PLatz
1. bis 3. September
Freitag von 14 bis 23 Uhr; Samstag von 12 bis 23 Uhr, Sonntag von 12 bis 20 Uhr.
Ludwig-Beck-Platz, 12203 Berlin
Die Winzer:
Weingut Kurt Müller (Mosel)
Weingut Sommer (Pfalz)
Weingut Ökonomierat August E. Anheuser (Nahe)
Weingut Matteo Braidot (Italien)
Weingut Wandl (Österreich)
Alle Infos: https://www.family-and-friends-ev.de/erster-weinbrunnen-am-ludwig-beck-platz-vom-1-3-september-2023
Daniela von Treuenfels