Schüler aus verschiedenen Schulen demonstrierten am 19. Februar gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Erdrutschsieg für die Linke – bundesweit, berlinweit, und auch in Steglitz-Zehlendorf. Zum Erfolg beigetragen haben vor allem die Stimmen der Jüngeren. Man kann sich mit ihnen freuen, dass ihre Wahlbeteiligung spürbar etwas bewegt hat. Oder ernüchtert feststellen: Die junge Generation ist tief gespalten. Für die Zukunft braucht es Zuversicht, die Zusammenarbeit der Generationen und eine klare Abgrenzung zu den Rechtsextremen. Die Steglitz-Zehlendorfer Lokalpolitik weiß wie das geht.

Dass da etwas in Bewegung gerät, hat sich schon vor der Wahl am Sonntag abgezeichnet. Bei den traditionell neun Tage vor dem Wahltag stattfindenden U 18-Abstimmungen votierte am 14. Februar berlinweit mehr als ein Viertel (27,28 %) der teilnehmenden 31.359 Kinder und Jugendlichen für die Linke, gefolgt von der SPD und den Grünen mit jeweils rund 18 % der abgegebenen Stimmen.

Auch bundesweit führte die Linke bei den unter 18-Jährigen: Ein Fünftel der 166.443 Teilnehmer sprach sich für die Partei aus, gefolgt von SPD (18), CDU (16), AfD (15) und Grüne (12).

Gegen den Trend stimmten die Jugendlichen im Berliner Südwesten: Hier lagen die Grünen mit 24.24 Prozent an der Spitze. Danach folgten die SPD mit 18.38 Prozent, die CDU mit 18.28 Prozent, die Linke mit 12.21 Prozent, die Tierschutzpartei mit 6.45 Prozent und die FDP mit 6.27 Prozent. Die AfD erhielt 5.19 Prozent.

Ebenfalls kurz vor der Bundestagswahl, am 19. Februar, hatten Steglitz-Zehlendorfer Schülerinnen und Schüler zur Demo aufgerufen. Unter der Überschrift „Eure Wahl, unsere Zukunft – Rechtsruck verhindern“ zogen rund Jugendliche aus mehreren Schulen vom Ehlers- zum Schreiberplatz und wieder zurück.

Das Engagement der Schüler fand seinen Anfang nach dem Bekanntwerden einer Zusammenkunft zwischen rechten und rechtsextremen Akteuren aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen sowie Vertretern der AfD. Das Treffen in einem Potsdamer Hotel im Januar 2023 war von der Rechercheplattform Correktiv aufgedeckt worden und stieß bundesweit auf Interesse und Entsetzen. Es gab Proteste gegen Rechtsradikale und ihren parlamentarischen Arm in mehreren Städten.

Hier im Berliner Südwesten sind Netzwerke der Neuen Rechten schon länger etabliert, und dass nun sogar Kinder und Jugendliche sich gegen sie wenden, verübelten sie den Schülern sehr. Ihre Demonstrationen wurden fotografiert und gefilmt, sogar im Netz gestreamt. Ein Schulleiter erhielt eine Dienstaufsichtsbeschwerde, weil er die Jugendlichen indoktriniert und angestiftet haben soll.

Zwischen den ersten Protesten und der Demonstration am vergangenen Mittwoch liegt ein Jahr, und auf den ersten Blick ist das Bild dasselbe: Reden, Musik, Transparente, ein Demozug. Und doch: die Abläufe sind routinierter und überaus diszipliniert, „Unterricht an anderem Ort“ zeigt seine Wirkung. Die AfD wird in Sprechchören nur noch „gestoppt“ – der „Hass“ ist weg. Die Jugendlichen haben klar den Hut auf – aber die begleitende ältere Generation ist präsent: beispielsweise Eltern des Fichtenberg Gymnasiums sowie der Schulleiter, Omas gegen Rechts oder Aktive der Initiative Lichterfelde weltoffen.

 

Ulrike Kipf, Fraktionsvorsitzende der Grünen in der BVV, ist oft präsent, wenn Jugendliche sich politisch engagieren. Hier ist sie während der Demonstration am 19. Februar im Gespräch mit Andreas Golus-Steiner, Schulleiter des Fichtenberg-Gymnasiums. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Wie fast immer zu solchen Anlässen ist Ulrike Kipf dabei. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen war früher Vorsitzende des Bezirkselternausschusses und leitet heute den Schulausschuss der BVV. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an demokratischen Prozessen ist ihr ein Anliegen. Es ist gut möglich, dass das Interesse am Engegement von jungen Leuten etwas mit dem guten Abschneiden der Grünen bei der U 18-Wahl zu tun hat. Belegen lässt sich das nicht.

Auch der Bezirksverordnete Dennis Egginger-Gonzales schaut dem Demozug zu, fröhlich begrüßt er eine junge Frau, die sich gerade einreiht – „ein neues Mitglied“, sagt der Linke vergnügt. In dieser Woche teilte die Bezirks-Linke mit, dass sich ihre Mitgliederzahl von 200 auf 450 mehr als verdoppelt hat. Das für Steglitz-Zehlendorf spektakuläre Ergebnis von 11,4 % werde mit einer großen Party gefeiert. „Die Linke ist die Partei einer wirksamen Klima- und Umweltpolitik, die sozial abgesichert wird. Wir streiten weiter dafür, dass Hitzeschutz, Energieversorgung, Ernährungssouveränität und die unvermeidbare Mobilität nicht vom Geldbeutel abhängen“, lässt sich der Direktkandidat Marcus Otto in einer Mitteilung zitieren.

Die eigenen Themen nach vorne stellen und klar kommunizieren, das wirkt anziehend – und gilt für Rechte wie Linke gleichermaßen. Sie erreichen mit ihren Botschaften jeweils unterschiedliche junge Wählerschichten: Der Linken geben in der Gruppe der unter 30jährigen vor allem Frauen mit Abitur die Stimme (38%). Die AfD finden in dieser Alterskohorte Männer auf dem Land (36 Prozent) und Männer ohne Abitur (44 Prozent; Infratest dimap) gut.

Das, und die Tatsache, dass die AfD überdurchschnittlich stark unter Personen abschneidet, die ihre wirtschaftliche Lage als weniger gut oder schlecht beschreiben, erklärt das vergleichsweise schlechte Abschneiden der Partei in Steglitz-Zehlendorf. Der Bildungsstand und die Haushaltseinkommen sind relativ hoch. Die AfD bleibt in vielen Stimmbezirken unter 10 %, teilweise deutlich. Wer als Steglitzer AfD-Politiker erfolgreich sein will, geht dahin, wo die Unzufriedenheit größer ist: Gottfried Curio aus dem Kreisverband Steglitz-Zehlendorf holte mit 29,5 Prozent das Direktmandat in Marzahn-Hellersdorf.

Alt und jung gemeinsam in einer zuversichtlichen Grundstimmung ist ein Erfolgsrezept gegen Rechtsradikale, die Grünen in Steglitz-Zehlendorf beweisen das ebenso wie die Linken bundesweit. Der gesellschaftliche Gesamttrend geht jedoch in eine ganz andere Richtung, wie Wahlanalysen zeigen. Da ist zum Beispiel die Tatsache, dass im Osten Deutschlands die AfD dominiert, und im Westen die CDU. Dass es insgesamt eine rechtskonservative Mehrheit gibt, zeigt ein Blick auf die Zweitplatzierten. Eine Analyse von Zeit online zeigt eindrücklich, das Bild dreht sich um: Der Osten wird schwarz und große Teile der alten Bundesländer werden blau, vor allem in Süddeutschland. Im Norden der alten Republik ist fast ausschließlich die SPD die am häufigsten zweitplatzierte Partei.

Das lag bereits vor dem Wahltag in der Luft, und wer als politisch interessierter junger Mensch den Wahl-o-Mat ausprobiert oder im Unterricht aufgepasst hat, dem war die inhaltliche Nähe zwischen Christdemokraten und der AfD bewusst. Gelingt es der demokratischen CDU, sich von der teilweise gesichert rechtsextremen AfD deutlich abzugrenzen?

 

Hält die Brandmauer gegen Rechts? Die Demonstrationsteilnehmer sind davon nicht überzeugt – eine Anwohnerin stimmt ihnen zu. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Die jugendlichen Teilnehmer der Demonstration am 19. Februar waren mehr als skeptisch. Die von Friedrich Merz herbeigeführte Abstimmung über das „Zustrombegrenzungsgesetz“ im Bundestag wirkten noch nach. Und wie bei vielen Protestkundgebungen mit zehntausenden Teilnehmer ließen die Schüler in Steglitz ihre Enttäuschung über die CDU deutlich erkennen. Die Brandmauer gegen Rechts, so ihre Überzeugung, war gefallen. „Ganz Berlin stoppt die CDU“ – das waren neue Töne.

Werte gemeinsam verteidigen, das sagt sich so dahin. Im politischen Tagesgeschäft in permanenter Konkurrenz um Aufmerksamkeit, Wohlwollen und letztlich Wählerstimmen kommen manche Selbstverständlichkeiten unter die Räder. Wie es trotzdem gelingt, hat vor einigen Wochen die BVV Steglitz-Zehlendorf gezeigt.

Im Streit um die Umbenennung der Steglitzer Treitschkestraße hatten sich die Parteien heftig zerstritten. Linken, SPD, Grünen und FDP gelang es nicht, die CDU davon zu überzeugen, dass es angemessen und längst an der Zeit ist, den Namen eines überzeugten Antisemiten aus dem Berliner Straßenbild zu entfernen.

In der BVV am 22. Januar stand dann der Vorschlag einer Umbenennung nach der jüdischen Pädagogin Betty Katz auf der Tagesordnung. Die Debatte verlief wie erwartet mit dem Austausch aller bisher vorgetragenen Argumente. Der Abend, so schien es bis fast zum Ende, sollte mit einem Beschluss gegen die Stimmen der CDU enden.

Dann kam Torsten Hippe mit einem Änderungsantrag um die Ecke. Der Text sollte, so der Vorschlag des CDU-Fraktionsvorsitzenden, zweigeteilt werden: Eine Umbenennung der Treitschkestraße sollte getrennt von der Benennung nach Betty Katz abgestimmt werden.

Zwei Sitzungsunterbrechungen später hatte der Ältestenrat, also die Runde der Fraktionsvorsitzenden, entschieden, der CDU entgegenzukommen. Im Antrag sollte nun eine einzige Silbe gestrichen werden; statt umbenennen sollte es benennen heißen: „Das Bezirksamt wird gebeten, die Treitschkestraße in Steglitz nach der Direktorin des Jüdischen Blindenheims in Berlin-Steglitz Betty Katz zu benennen. Im Zuge der Benennung sind den Anwohnerinnen und Anwohnern unter Einsatz der Bürgeramtskoffer unbürokratisch, kostenfrei und zeitnah sämtliche persönliche Dokumente neu auszustellen.“

Die Wortklauberei sollte der CDU helfen, gesichtswahrend aus einer verfahrenen Diskussion herauszukommen. So musste die Fraktion, deren Haltung auf reichlich Unverständnis stieß, nicht gegen eine Umbenennung votieren. Die Konservativen konnten zustimmen, eine Steglitzer Pädagogin zu ehren, die 1944 im KZ Theresienstadt von den Nazis ermordet wurde.

Und so konnte das Bezirksamt im Nachgang mitteilen: „Viele im Saal jubelten, als die Verordneten einem von allen Fraktionen mitgetragenen Änderungsantrag zustimmten.“
Alle zusammen gegen den Faschismus. Geht doch.

 

Wahlergebnisse Bundestagswahl 2025:

https://bundeswahlleiterin.de/bundestagswahlen/2025/ergebnisse.html

 

Daniela von Treuenfels

 

 

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