Auf dem „Selbstmörderfriedhof“ in Berlin-Wannsee findet sich ein reich geschmücktes Grab einer Rock-Ikone. Es ist das Grab von Nico.
„Ich glaube nicht, dass ich noch böse Erfahrungen machen kann. Ich habe sie alle hinter mir. Mir ist klar, dass man stirbt und dann tot ist.“ (Nico, 1974)
Christa Päffgen, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Nico, gehört zu den tragischen Gestalten des Rock‘n‘Roll. Sie starb nicht wie andere Legenden in jungen Jahren und auf dem Höhepunkt ihres Schaffens, sondern lange nach ihren Erfolgen im Alter von knapp 50 als Drogenwrack auf Ibiza, wo man jene Frau für einen einfachen Junkie hielt und nicht die Velvet Underground-Frontfrau Nico in ihr erkannte. Ein unschöner Tod für eine einst schöne Frau, die für Coco Chanel modelte und in Federico Fellinis Kultfilm La dolce Vita eine Nebenrolle spielte. Es war zynischer Weise gut zwanzig Jahre nach ihrem Schuss, dass sie an den Folgen des Heroinkonsums starb.
Auf Wunsch von Andy Warhol wurde sie Bandmitglied von Velvet Underground – ohne jemals von den anderen Bandmitgliedern als gleichwertiges Mitglied anerkannt zu werden – und avancierte nach dem Bruch mit der Band und Warhols Factory im Rahmen eines Imagewechsels zu einer Ikone der frühen Punk- und Gothic-Szene. Ihr Stil beeinflußte Bands und Musiker wie Siouxsie and the Banshees, Patti Smith und New Order.
Nach ihren Exzessen in Paris, London und New York fand ihr Leichnam seine letzte Ruhe in Berlin, wo sie auch große Erfolge gefeiert hatte und vom Publikum geliebt worden war. Sie wurde auf dem kleinen, gruselig anmutenden Friedhof Grunewald-Forst beigesetzt. Der etwas abgelegene Friedhof im Grunewald, der im Bezirk Wannsee liegt, einem sehr bürgerlichen Stadtteil von Berlin, soll mittelfristig wieder der Natur zugeführt werden. Neben ihr liegt hier u.a. noch Harald Sawade, der durch seine Rollen in den 60er Jahre Verfilmungen der Edgar Wallace-Romane – Das Phantom von Soho oder Der Henker von London – bekannt wurde.
Ihr ehemaliger Lebensgefährte Lüül (Agitation Free, 17 Hippies) veranlasste die Überführung ihrer Asche und die Beerdigung in Berlin im kleinen Kreis. Lüül begründete diesen Schritt mit einer Tagebuchaufzeichnung von ihr. Im Freundeskreis von Nico war dies aber sehr umstritten. Neben ihm nahm ein weiterer ehemaliger Liebhaber von ihr, die Bandkollegen ihrer letzten Band, ihr Sohn und ihr Manager an der Zeremonie teil.
Der Musiker James Young, der an jener Feier teilnahm, erinnerte sich später in seinem Buch Nico – Die letzten Jahre einer Rock-Legende: „Der Gedenkstein, den Demetrius (= Rockbandmanager Alan Wise) bestellt hatte, war nicht fertig, es gab nur ein kleines Schild, auf dem Stand: Päffgen 16. 10. 1938 – 18. 7. 88. (…) Le Kid erschien mit der Urne in einer Hand und einem Ghettoblaster in der anderen Prediger Mike sprach ein paar Worte aus der ‚Bhagawadgita‘ – er hatte Nico gekannt, es gab keinen Anlass für fromme Sprüche. Dann senkte Le Kid die Urne ins Grab, stellte den Kassettenrekorder auf den Boden und schaltete ihn ein. Es war eine Aufnahme von Nicos Song ‚Mütterlein‘.“ Der Song war sicherlich sehr passend gewählt, weil er den Wunsch der Wiedervereinigung mit der eigenen Mutter im Tod zum Thema hat. Bei der Beerdigung ihrer eigenen Mutter konnte sie wegen eines Drogenentzugs nicht teilnehmen.
Die Einahmen aus einem Gedenkkonzert für sie flossen dann direkt in den Drogenkonsum ihres mit dem französischen Schauspieler Alain Delon gezeugten Sohnes – Le Kid.
Im Gegensatz zu anderen einstigen Rockgrößen ist ihr Grab nie wirklich zu einer Pilgerstätte von Fans geworden. Abgesehen von kleineren Mitbringseln einzelner Fans – wie z.B. einem Engel mit Kopfhörern – ist ihr Grab unscheinbar und unterscheidet sich kaum von denen der anderen.
Foto: Yvonne Schwarz / Semiramis Photoart
Der Text beruht auf einem ursprünglich im Punkfanzine Plastic Bomb (https://www.plastic-bomb.eu) abgedruckten Beitrag.
Dr. Maurice Schuhmann
Website: https://www.maurice-schuhmann.de
Autorenseite bei FB: https://www.facebook.com/Dr.phil.Schuhmann
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Anm. d. Red.
Dr. Schuhmann ist promovierter Politikwissenschaftler
und Autor des philosophiegeschichtlichen Städteführers
„Geistreiches Berlin und Potsdam“ (Bäßler Verlag 2021).
Der Städteführer ist erhältlich über:
https://www.baesslerverlag.de/p/geistreiches-berlin-und-potsdam
Der Friedhof ist nicht in Wannsee. Der Teil vom Grunewald, in dem der Friedhof liegt, gehört zu Charlottenburg-Wilmersdorf